Tophotel hat bereits im vergangenen Jahr umfassend zum Thema Auslandsrecruiting recherchiert. Nun nehmen wir den Faden erneut auf und berichten, was sich an gesetzlichen Rahmenbedingungen und Aktivitäten in Organisationen und Unternehmen getan hat.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat eine Sonderauswertung für Tophotel vorgenommen: Im Jahresdurchschnitt 2022 gab es demnach im Wirtschaftszweig Beherbergung 15.365 gemeldete Arbeitsstellen, davon 14.676 sozialversicherungspflichtige und 621 geringfügige. In Summe: 38 Prozent mehr Vakanzen als 2021. Im Wirtschaftszweig Gastronomie sah es ähnlich aus: Dort wurden 2022 im Jahresdurchschnitt 24.770 offene Stellen gemeldet, 29 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch wenn der Jahresbeginn 2023 zunächst wieder leicht rückläufige Tendenzen zeigte: Ein starkes Team zu haben wird für die Hotellerie zur Herkulesaufgabe, Auslandsrecruiting zur Notwendigkeit und zur Chance für zwei Seiten, herrschen in anderen Ländern doch mitunter (Jugend-)Arbeitslosigkeit oder, wie in der Ukraine, Krieg.
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Beim Recruiting in die Ferne schweifen
Der Anteil von ausländischen Beschäftigten im Gastgewerbe ist schon heute hoch. 37,8 Prozent weist die Statistik der BA für Juni 2022 aus, eingebürgerte Personen mit Migrationshintergrund nicht eingerechnet. Dies bedeutet eine Zunahme um 16,5 Prozent gegenüber dem Jahr davor. Und noch ein Vergleich: Branchenübergreifend lag der Anteil ausländischer Beschäftigter im Juni 2022 in Deutschland „nur“ bei 14,5 Prozent, mit einem Plus gegenüber dem Vorjahr von 9,6 Prozent. Außer der sogenannten Arbeitnehmerüberlassung gibt es keinen Wirtschaftszweig, der mehr Internationalität aufweist als das Gastgewerbe.
Bürger aus der EU beziehungsweise dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu beschäftigen ist dank der geltenden Freizügigkeit kein Problem. Auch Staatsangehörige ausgewählter Drittstaaten haben nach Paragraph 26 der Beschäftigungsverordnung (BeschV) privilegierten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Ein Sonderstatus gilt zudem für anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte. Angesichts des voraussichtlichen Bedarfs und der demografischen Entwicklung muss die Branche beim Recruiting jedoch darüber hinaus in die Ferne schweifen. Wie das geht und was zu beachten ist, hat die Bundesagentur für Arbeit im Merkblatt zur „Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland“ zusammengestellt, mit Hintergrundinformationen und Tipps zu der insgesamt sehr komplexen Materie.
Auslandsrecruiting: Gesetzgeber reformiert Fachkräfte-Einwanderung
Dass es weitere Erleichterungen beim Arbeitsmarktzugang geben muss, zeigt nicht nur der DIHK-Fachkräftereport 2022, auch die Bundesregierung ist sich dessen bewusst. Das Bundeskabinett hat Ende März einen Gesetzentwurf zur Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes beschlossen, der vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) sowie vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vorgelegt worden war. Im Detail sehen die geplanten Neuerungen wie folgt aus:
• Die Fachkräfteeinwanderung soll künftig auf drei Säulen basieren: der sogenannten Fachkräfte-, der Erfahrungs- und der Potenzialsäule. Die Fachkräftesäule bleibt ein zentrales Element. Personen mit anerkannter Berufsqualifikation sollen aber künftig in allen nicht reglementierten Berufen arbeiten dürfen. Es gilt allein die Einschätzung des Arbeitgebers, ob die Fachkraft die Tätigkeit ausüben kann.
• Bei der Blauen Karte EU, einem Aufenthaltstitel für Hochschulabsolventen beziehungsweise Arbeitnehmer mit vergleichbarer Qualifikation, sollen die Gehaltsschwellen für Regel- und Engpassberufe spürbar abgesenkt sowie eine niedrige Mindestgehaltsschwelle für Berufsanfänger geschaffen werden. Arbeitgeberwechsel, Familiennachzug und die Erlangung der Erlaubnis zum Daueraufenthalt sollen erleichtert werden. Erweiterte Möglichkeiten der Nebenbeschäftigung bei Studienaufenthalten sind ebenfalls vorgesehen.
• Für vorqualifizierte Drittstaatsangehörige soll eine neue Aufenthaltserlaubnis eingeführt werden. Das Anerkennungsverfahren kann dann erst in Deutschland begonnen und bereits vom ersten Tag an eine existenzsichernde Beschäftigung aufgenommen werden. Dafür müssen sich Fachkräfte und Arbeitgeber zu einer sogenannten Anerkennungspartnerschaft verpflichten.
• Für Personen mit einem ausländischen, mindestens zweijährigen Berufsabschluss soll zur Arbeitssuche eine Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems eingeführt werden. Zu den Auswahlkriterien gehören Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug. Die Chancenkarte wird Möglichkeiten zur Probearbeit oder Nebenbeschäftigung bieten. Der Wechsel in Aufenthaltstitel zu Erwerbs- und Bildungszwecken wird gewährleistet.
• Die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Ausbildungsplatzsuche sollen gesenkt werden. So sollen ausländische Auszubildende oder Studierende ihren Aufenthalt fortsetzen können, wenn sie die Voraussetzungen für die Ausübung einer qualifizierten Beschäftigung schon vor Abschluss der Ausbildung oder des Studiums in Deutschland erfüllen.
• Die Bundesagentur für Arbeit soll die Möglichkeit bekommen, in Abstimmung mit der Bundesregierung befristete Kontingente für bestimmte Branchen festzulegen, die unabhängig von der Qualifikation bis zu acht Monate einreisen können. Voraussetzung ist ein tarifgebundener Arbeitgeber. Weitere Neuerungen betreffen die sogenannte Westbalkanregelung. Diese soll entfristet – aktuell gilt sie bis 31. Dezember 2023 – und das Kontingent deutlich angehoben werden. Eine Erstansprechstelle für Einreise- und Aufenthaltsmodalitäten im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für Fachkräfte und Unternehmen ist ebenfalls geplant.
Wie steht die Branche zu den Plänen?
„Daumen hoch“, sagen unter anderem Dehoga und die im Zusammenhang mit diesem Beitrag befragten Hoteliers zur grundsätzlichen politischen Richtung des Gesetzentwurfs zur Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und wünschen sich eine schnelle Umsetzung. Und doch gibt es Ergänzungs- und Optimierungswünsche sowie auch Bedenken. „Spannend wird, wie schnell die Visa-Verfahren im Ausland in den deutschen Botschaften und Konsulaten abgewickelt werden. Unsere Erfahrung zeigt da leider, dass es bis zur Visumserteilung einige Monate dauern kann. Und wenn das Visum in Deutschland verlängert werden muss, sieht man sich mit überlasteten Ausländerbehörden konfrontiert“, so lautet (nicht nur) die Erfahrung von Michael Mauersberger, Direktor des Best Western Premier IB Hotel Friedberger Warte.
"Die Visumserteilung ist ein Nadelöhr und kann unserer Erfahrung nach leider einige Monate dauern."
Michael Mauersberger, Hoteldirektor, Best Western Premier IB Hotel Friedberger Warte
„Die Bürokratie ist enorm, wenn man jungen Menschen aus Kriegsgebieten oder schwach strukturierten Ländern eine Chance geben will“, erlebt Ben Baars, Direktor des Rhön Park Aktiv Resorts in Hausen-Roth, und hofft auf Erleichterung. David Etmenan, Chief Executive Officer & Owner von Novum Hospitality, stimmt zu: „Es ist für Menschen aus dem Ausland sehr schwer, den deutschen Behördendschungel zu verstehen. Hier ist immer noch viel Unterstützung nötig, was sehr zeitaufwendig ist. Des Weiteren brauchen wir in der Hotellerie weniger Menschen mit Hochschulabschluss als vielmehr Fachkräfte und motivierte junge Talente. Wir bei Novum Hospitality möchten auch un- und geringqualifizierten Menschen eine Chance geben, die durch den neuen Gesetzentwurf allerdings weniger berücksichtigt werden.“
Nalin Bulathsinhala, Ausbildungskoordinator im Luitpoldpark Hotel in Füssen und Ausbildungsbotschafter des Dehoga Bayern, kam selbst vor 29 Jahren aus Sri Lanka nach Deutschland und kann insofern wertvolle Tipps zur Integration geben. So wünscht er sich unter anderem mindestens drei bis sechs Monate berufsvorbereitende Kurse. „Ausbildungen anderer Länder haben einfach nicht das Niveau unseres dualen Systems. Aufgrund der kulturellen Unterschiede dauert es zudem, bis sich die zuwandernden Menschen beispielsweise Produktkenntnisse angeeignet haben. Manche Ernährungsbestandteile unserer hiesigen Küche sind für sie völlig neu.“
Auslandsrecruiting: Ohne Sprachförderung keine Integration
Für Claudia Schwalenberg, im Landesvorstand des Dehoga Sachsen-Anhalt sowie Teamleiterin des Projekts „Viethoga“, steht rund um das Thema Auslandsrecruiting daher fest: „Man braucht gute Partner im Herkunftsland, die bereits auf kulturelle Unterschiede rund um Jahreszeiten, Lebensart, Essen, Verhalten, Regeln, Recht und Gesetz eingehen. Und bei allen Wünschen zu Zugangserleichterungen: Eine Absenkung des Sprachniveaus sollte nicht erfolgen. Ohne Sprache keine Integration und Servicequalität. Die Branche leidet schon jetzt unter dem sinkenden Niveau. Optimale Kooperationen im Herkunftsland sind auch hier die Lösung.“
Im Projekt Viethoga – Auszubildende aus Vietnam in Deutschland – stimmen die Rahmenbedingungen offenbar. Bisher haben alle rekrutierten Auszubildenden, insgesamt rund 450, ihre Abschlussprüfungen bestanden. „Sie zählten sogar zu den Top-Absolventen, keiner war schlechter als Note drei“, so Schwalenberg. „92 Prozent wurden im Ausbildungs- oder einem der Projektbetriebe übernommen.“ Immerhin: Auch der aktuelle Gesetzentwurf sieht die „Ausweitung des Angebots von Deutschsprachkursen, schnellere Verwaltungsverfahren und Vorintegrationsmaßnahmen“ vor, „die bereits in den Herkunftsländern angeboten werden, um Fachkräfte bereits vor der Einreise bestmöglich auf das Leben in Deutschland vorzubereiten und Integration von Anfang an zu fördern."