Die Bundes-Notbremse, die das Kabinett gestern auf den Weg gebracht hat, stößt vielerorts auf Kritik. Das wird unter anderem in einem Statement des Deutschen Tourismusverbandes sowie des Dehoga Bayern und in einer juristischen Expertise im Auftrag der nordrhein-westfälischen FDP-Landtagsfraktion deutlich.
(Stand: 14.04.2021, 16.30 Uhr) Der Münsteraner Staatsrechtler Hinnerk Wißmann hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen die geplante bundesweite Corona-Notbremse, die das Bundeskabinett am Dienstag auf den Weg gebracht hat (wir berichteten). In einer juristischen Expertise im Auftrag der nordrhein-westfälischen FDP-Landtagsfraktion, die der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf vorliegt, kritisiert der Wissenschaftler "statisch angeordnete Eingriffe in die Bürgerrechte".
In seiner Ad-hoc-Stellungnahme warnt der Wissenschaftler: "Die weitreichendsten Beschränkungen von Bürgerrechten durch die Bundesregierung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - mögliche Ausgangssperren für die gesamte Bevölkerung, Beschränkung der häuslichen Gemeinschaft - sollen nach 14 Monaten Pandemiebekämpfung in einem Schnellverfahren eingeführt werden." Es handle sich hier aber nicht um eine Notgesetzgebung, "die angesichts einer plötzlichen Katastrophe unausweichlich in schnellster Frist zustandekommen muss", wandte er ein.
Die Bundesregierung habe die aus seiner Sicht zweifelhafte Notwendigkeit in einer Formulierungshilfe zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes zudem mit einer "panik-affinen Vorrede" begründet, kritisierte Wißmann. Darüber hinaus wäre es notwendig, den "Ausnahmecharakter" der Eingriffe hervorzuheben und diese zeitlich zu befristen.
Eignung der geplanten Maßnahmen sei zweifelhaft
"Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Sachzwang zur vorgeschlagenen Regelung", argumentiert Wißmann in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf weiter. Die als Grundlage vorgesehene "eindimensionale Festlegung auf eine gegriffene Inzidenzzahl (...) unterschreitet das verfassungsrechtlich gebotene Maß rationaler Gesetzgebung".
Die Eignung der geplanten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sei zweifelhaft. So hätten etwa Bayern und Baden-Württemberg - im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen - über Monate strikte Kontaktbeschränkungen im privaten Raum und nächtliche Ausgangssperren angewandt. "Es ist nicht erkennbar, dass aus den Maßnahmen tatsächlich wirksame Effekte bei der Infektionsbekämpfung resultierten, da die Bundesländer keineswegs besser dastanden oder dastehen als NRW", bilanzierte der Jurist.
Bundes-Notbremse von Kabinett beschlossen
Mit des Bundes-Notbremse soll es künftig in allen Kreisen und Städten mit hohen Infektionswerten bundeseinheitliche Einschränkungen geben - unter anderem Ausgangssperren zwischen 21 und fünf Uhr. Dafür soll das Infektionsschutzgesetz geändert werden.
Die Änderungen sind als Einspruchsgesetz formuliert, was es für den Bundesrat laut Wißmann schwerer macht, es aufzuhalten oder noch zu verändern. Die Länderkammer müsste dazu den Vermittlungsausschuss anrufen. Dazu bräuchte es eine absolute Mehrheit.
Sollte das Gesetz dennoch im Bundesrat beraten werden, ist mit einer Enthaltung der CDU-FDP-Koalition Nordrhein-Westfalens zu rechnen. Die FDP will nicht für pauschale Ausgangssperren stimmen. Obwohl auch Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) Ausgangsverbote bislang stets abgelehnt hatte, hat sich der CDU-Bundeschef jetzt für eine schnelle bundeseinheitliche Lösung stark gemacht.
Dehoga konnte einige Änderungen bewirken
Auch der Dehoga sieht die aktuellen Pläne der Bundesregierung zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes kritisch (wir berichteten). Einige branchenspezifische Kritikpunkte wurden laut einer Mitteilung des Dehoga Bayern vom Dienstagabend (Stand: 13.04.2021, 20 Uhr) nun aber berücksichtigt. So sei ein Beherbergungsverbot für Gäste aus Regionen mit einer Inzidenz von 100 Verbandsangaben zufolge nicht mehr im Entwurf enthalten. Und auch bezüglich der Betriebskantinen sei der aktuellen Verordnungslage in den Bundesländern entsprochen und Ausnahmen im § 28 b, Abs. 1, Ziffer 7 e aufgenommen worden.
Neu und eine Beschränkung stelle jedoch § 28 b, Abs. 1, Ziffer 7 e, 2. Absatz "Die Regelung des Abverkaufs zum Mitnehmen" dar. Dieser sogenannte "Abholservice" sei im Zusammenhang mit den Ausgangsbeschränkungen zwischen 21 und fünf Uhr untersagt. Die Auslieferung von Speisen und Getränken bleibe zulässig. Klärungsbedürftig bleibe jedoch, wie die Versorgung von Berufskraftfahrern sichergestellt werden soll. Für Autobahnraststätten wäre hier eine Ausnahmeregelung zu treffen.
Nach der neuen Ziffer 10 des § 28 b heiße es jetzt nur: "Die Zurverfügungstellung von Übernachtungsangeboten zu touristischen Zwecken ist untersagt." Konkret bedeute dies, dass die Bundesländer unter einer Inzidenz von 100 in einem Landkreis oder kreisfreien Stadt regeln, wann dort die touristische Übernachtung gestattet wird und ob und unter welchen Voraussetzungen Gäste aus anderen Regionen anreisen dürften.
Deutscher Tourismusverband kritisiert Gesetzentwurf
Der Gesetzentwurf für die Bundesnotbremse ist auch aus Sicht des Deutschen Tourismusverbandes (DTV) verfassungsrechtlich problematisch. Eine differenzierte Begründung und Abwägung, warum der Inlandstourismus untersagt wird, "sucht man im Gesetzentwurf vergeblich". Dabei müsste laut einer Stellungnahme des DTV nach mehr als einem Jahr Pandemie und fast einem halben Jahr ohne Tourismus detailliert dargelegt werden, warum beispielsweise touristische Übernachtungen im Ausland möglich sind, aber innerhalb von Deutschland in einer Ferienwohnung oder auf einem Campingplatz nicht.
Die Bundesregierung bleibe eine Strategie schuldig, trotz aller vorgelegten Konzepte aus der Branche. Ebenso offen blieben tragfähige Lösungsansätze, wie die Liquidität der klein- und mittelständisch geprägten Branche erhalten bleiben kann. Ein Lichtblick seien die von den Ländern ausgerufenen Modellregionen. "Hier können die Akteure und Betriebe mit wissenschaftlicher Begleitung zeigen, dass sicherer Tourismus funktioniert."
Neue Version für Gesundheitsausschuss
Eine Verabschiedung der bundesweit beschlossenen Vorgaben im Bundestag in dieser Woche ist vom Tisch, im Parlament wird noch über Änderungen beraten. Am Montag soll eine neue Version unter anderem den Gesundheitsausschuss passieren, die nach aktueller Planung dann am Mittwoch vom Plenum verabschiedet würde. Mit dpa