Die EU-Trinkwasserrichtlinie ist Anfang des Jahres in Kraft getreten. Sie enthält keine Verpflichtung für Restaurants zur kostenlosen Abgabe von Leitungswasser. Die Mitgliedsstaaten haben die Möglichkeit, entsprechendes Verhalten anzuregen. Die Professoren Mihir Nayak und Desmond Wee aus Köln sehen in ihrem Gastbeitrag in dem Angebot von kostenlosem Leitungswasser eine Chance für die Gastronomie, auch für mehr Umsatz.
Laut einer repräsentativen Umfrage des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft sind fast drei Viertel der Deutschen dafür, dass Restaurants, Bars und andere Gastronomiebetriebe ihren Gästen künftig kostenlos Leitungswasser anbieten sollten. Viele der Gastronomen in Deutschland sind aber (noch) dagegen und haben Zukunftsangst: Wie sollen sie überleben, wenn sie Leitungswasser verschenken? Sie verweisen zudem auf den vermeintlichen Umsatzausfall durch einen niedrigeren Mineralwasserkonsum.
In Frankreich, Heimat der Gastronomie, wird keine Gebühr für une carafe d’eau erhoben. Gastronomen sind dort per Gesetz verpflichtet, ihren Gästen kostenlos Leitungswasser zur Verfügung zu stellen. In den USA bieten Restaurants ihren Gästen Wasser mit Eis sogar automatisch an, ohne dass sie danach fragen müssen.
Und als wir in London einmal ein Restaurant besuchten, stand bereits eine Karaffe Leitungswasser mit Eis, Minze und Limettenscheiben kostenlos auf jedem Tisch. So haben die Kellner weniger Arbeit und die Gäste können sich schon bedienen, während sie auf die Kellner oder auf das Essen warten. Wie schaffen es Restaurants in diesen Ländern, Wasser kostenlos anzubieten und trotzdem wirtschaftlich zu bleiben?
Koexistenz möglich
Vielleicht hilft ein Blick nach Deutschland, wo es durchaus Gastronomen gibt, die keine Scheu davor haben, ihre Gäste mit kostenlosem Trinkwasser zu versorgen. So etwa Peter Frühsammer, Inhaber des Frühsammers Restaurant in Berlin, der sowohl kostenloses, gefiltertes Leitungswasser als auch kostenpflichtiges Mineralwasser anbietet. Mineralwasser und kostenloses Leitungswasser können somit sehr wohl nebeneinander existieren. Denn Gäste, die lieber Mineralwasser trinken, soll und wird es immer geben.
Kostenloses Leitungswasser kann sogar mehr Umsatz bringen, indem es den Konsum anregt, wenn Gäste sich besser betreut fühlen. Selbst wer Leitungswasser trinkt, konsumiert oft mehr andere Lebensmittel und Getränke.
Gastfreundschaft für die Kundenbindung
Das Verweigern von kostenlosem Leitungswasser hingegen zeugt von einer “bedingten Gastfreundschaft”. Unter dieser Art der Gastfreundschaft versteht der französische Philosoph Jacques Derrida eine von einer Vielzahl an Einschränkungen gekennzeichnete Gastfreundschaft.
Kostenloses Leitungswasser als Service-Angebot wird von den Gästen geschätzt. Sie fühlen sich wohler. „Denn geht’s denen gut, kommen die wieder!“ summiert Peter Frühsammer. Somit führt die Einführung kostenlosen Leitungswassers auch langfristig zu mehr Umsatz durch ein neues Verständnis von Gastfreundschaft.
Insbesondere in diesen Zeiten der Pandemie, in denen nicht nur die Gastronomie von den Folgen der Krise betroffen ist, ist es verständlich, dass manche Gastronomen den Status quo lieber festigen wollen, anstatt neue Wege zu gehen. Aber genau diesen Mut benötigt die Branche gerade mehr denn je.
Was wir in Deutschland (und Europa) jetzt benötigen, ist ein angewandtes Konzept der bedingten Gastfreundschaft Derridas, welche über Rechte, Pflichten und Gesetze hinausgeht. Das Zur-Verfügung-Stellen von kostenlosem Leitungswasser soll ein Symbol einer großzügigen Geste dem Gast gegenüber darstellen. Gerade in diesen Zeiten birgt kostenloses Leitungswasser in der Gastronomie keine Gefahr, sondern vielmehr eine Chance.
Auf einen Blick
- Kostenloses Leitungswasser regt den Konsum an und bedeutet somit oft mehr Umsatz für Gastronomen. Wer sich willkommen fühlt, bleibt länger und konsumiert oft mehr (zum Beispiel, andere Getränke wie Wein sowie weitere Gänge wie Desserts oder Kaffee/Digestif).
- Es kann die Wartezeit überbrücken. Wenn kostenloses Leitungswasser – gegebenenfalls mit Eis, Minze und/oder Limettenscheiben – schon auf jedem Tisch steht, haben die Kellner weniger Arbeit und die Gäste können sich schon bedienen, während sie auf die Kellner oder auf das Essen warten.
- Als Service-Angebot wird das kostenlose Getränk von den Gästen geschätzt. Wenn sie sich besser betreut fühlen, kommen sie wieder, so der deutsche Gastronom Peter Frühsammer.
- Kostenloses Leitungswasser schließt Mineralwasser im Angebot nicht aus. Gäste, die lieber Mineralwasser trinken, soll und wird es immer geben
Lesetipp: EU-Trinkwasserrichtlinie tritt in Kraft: Kostenloses Leitungswasser in Restaurants nur als Anregung
Über die Autoren
Professor Dr. phil. Mihir Nayak ist an der Hochschule Fresenius in Köln beschäftigt und Professor Dr. Desmond Wee arbeitet an der der CBS Köln.