Es war ein weiter Weg von der Flensburger Förde nach Hongkong, aus einer deutschen Restaurantküche in den Wolkenkratzer der größten asiatischen Luxushotelkette. Antrieb war für Wolfgang Krüger, heute Executive Vice President der Shangri-La Group, vor allem die Faszination für Asien und die Bereitschaft, für den Beruf alles zu geben.
Im flachen Wasser reflektiert der Korallensand das Sonnenlicht und ein Meer schillernder Blautöne glitzert entlang der Küste. Schattenspendende Kokospalmen ragen in den Himmel auf der Philippinen-Insel Boracay. »Welcome to Shangri-La« steht in geschwungenen Buchstaben auf einem Holzschild. Shangri-La war der Name eines paradiesischen Orts in James Hiltons Roman »Lost Horizon«. Er wurde zur Inspiration für einen malaysischen Milliardär, der einen Hotelbau plante – mit dem Anspruch, seine Gäste sollten sich dort wie im Paradies fühlen. Angelehnt an die literarische Vorlage taufte er 1971 sein Hotel in Singapur: Shangri-La. Heute steht der Name für die größte asiatische Luxushotelkette mit 100 Häusern weltweit. Der Konzernsitz ist Hongkong. Dort hat der Executive Vice President sein Büro in einem Wolkenkratzer: Wolfgang Krüger, einstmals Kochlehrling in Schleswig-Holstein. Mit dem Fahrstuhl dauert es nur wenige Sekunden bis zum 56. Stock, um an die Spitze des gut 200 Meter hohen »Island Shangri-La, Hongkong« zu gelangen. Wolfgang Krüger hat die Treppe genommen. Schritt für Schritt. Stockwerk für Stockwerk.
Flensburg, Düsseldorf, London
Flensburg, 1979. Im Poststapel fand er als 15-Jähriger die Einladung einer Tante aus Amerika. Zwei Jahre später schlachtete er sein Sparschwein und bereiste die USA. Zurück in der Heimat formulierte der Junge sein Ziel: »Irgendwann werde ich im Ausland arbeiten. Ich werde Koch.« Der erste berufliche Schritt. »Wir waren als Familie nie in größeren Hotels, aber ich wusste: Ich möchte mal Generaldirektor werden.« Ab 1983 lernte er im »Schlachthof Restaurant«, Flensburgs erster Adresse. »Toll war das, urig norddeutsch. Da habe ich alles von der Pike auf gelernt.« Als frisch gebackener Koch gelang ihm der Einstieg in die Hotellerie im Düsseldorfer Hilton. 1988 realisierte er in London seinen Traum vom Arbeiten im Ausland. »Zu dritt haben wir in einem Apartment mit nur zwei Betten gewohnt. Die ersten Monate habe ich auf einem Pappkarton geschlafen. Ich fand das normal.« Das Paradies lag noch in weiter Ferne.
London Hilton on Park Lane am Hyde Park. »Wolfgang, wenn Du jemals Food & Beverage Director werden willst, musst Du ins Stewarding.« Teller waschen. Küche putzen. »Klar! Mach ich!«
Der Traum von Asien
Wolfgang Krüger erinnert sich. Im 56. Stock des Hongkong Island Shangri-La steht er an der deckenhohen Fensterfront. Der dunkelblaue Anzug und das Kent-Kragen-Hemd lassen das Handwerk eines Maßschneiders erkennen. Mit einem Lächeln lässt er seinen Blick durch den Besprechungsraum wandern und setzt sich an den runden Tisch. Seine Gedanken kehren zurück in die Londoner Küchenräume. Mit 25 Jahren wurde er Chief Steward. Sein Führungsstil funktionierte – 1990 wurde er aus der Küche »herausbefördert« und Assistant F&B Manager. Nach fast vier Jahren an der Themse reizte ihn der nächste Schritt und er wechselte nach Istanbul. Zum Abschied klopfte ihm der Küchenchef auf die Schulter. »Wolfgang, wenn Du in dieser Branche erfolgreich sein willst, musst Du nach Asien.« – »Da will ich auch hin!« Ins Mandarin Oriental Hotel Hongkong – so der unausgesprochene Traum des jungen Mannes.
25 Jahre später strahlen seine Augen bei der Erinnerung. Mit ausgestrecktem Arm zeigt er zum Victoria Harbour, an dessen Ufer besagtes Haus steht. Nach acht Monaten für Hilton am Bosporus bekam er einen folgenreichen Anruf. »Haben Sie Interesse im Mandarin Oriental Hongkong zu arbeiten?« – »Ja, ich will!« Wolfgang Krüger legte fassungslos auf. Asien. Hongkong. Ab 1992 war er dort Director of F&B. Der Tellerwäscher aus London hatte es geschafft. »Es war toll. Das war damals die Erfüllung meines Traums.« Fünf Jahre später war er verantwortlich für die F&B-Planung eines neuen Hauses in Malaysia. Nach zwei Jahren wurden die Gloschen gelüftet und das Mandarin Oriental Hotel in Kuala Lumpur eröffnet. »Eine großartige Erfahrung. Jeder Hotelier sollte einmal ein Hotel aufmachen.« Er wechselte nach Hawaii, wurde Hotelmanager in Honolulu. Miami sollte folgen. Erstmals ein Nein, er sehnte sich nach Asien zurück. »Ich habe den Kontinent als mysteriös und originell empfunden – allein die Gerüche.« Er betrat den Pfad ins »Paradies«, im Sommer 2001 begann er für Shangri-La Hotels and Resorts in Manila zu arbeiten. »Sie sollen in 20 Monaten Generaldirektor werden. Darauf arbeiten wir hin, Sie auch.« – »Machen wir!« Zum 39. Geburtstag hielt Wolfgang Krüger seine druckfrische Visitenkarte in der Hand: Edsa Shangri-La Manila, General Manager. Als Junge hatte er an der Flensburger Förde davon geträumt, an der philippinischen Manilabucht erfüllte es sich.
Am Fenster in Hongkong
Ende 2004 wurde er Generaldirektor in Taipeh, danach Verantwortlicher für einen Neubau in Tokio. Ab 2012 besetzte er in Hongkong die Posten des Generaldirektors im Kowloon Shangri-La und im Island Shangri-La und trug die Gesamtverantwortung für alle Häuser der Regionen Japan, Taiwan und Hongkong. 2014 bekam er das Angebot, in die Konzernleitung zu wechseln. Er akzeptierte und ist seitdem Executive Vice President.
Fast 9.000 Kilometer Luftlinie trennen ihn hier von seinem Elternhaus, 57 Stockwerke von der Hotelküche. Er betrachtet seine Handflächen und versucht, die Zutaten seines Erfolgs zu benennen.
Gesunde Instinkte: »Geradlinigkeit. Ich habe im Beruf immer ehrlich gesagt, was ich für richtig und falsch halte.«
Teamplay: »Ich habe mich darum gekümmert, in einem menschlich angenehmen Umfeld zu arbeiten. Und darum, dass mein Team erfolgreich ist.«
Interesse am Kulturkreis: »Wenn man sich interessiert, öffnen sich die Leute. In Malaysia habe ich den Koran gelesen, in Taiwan Mandarin gelernt.«
Bezug zur Basis: »Im Hotelrestaurant esse ich nur bei Geschäftsterminen, sonst immer in der Kantine mit den Mitarbeitern.«
Leidenschaft und Fleiß: »Ich habe hart und konsequent gearbeitet, aber immer mit Lust und Freude.«
Und stets ein Ziel klar vor Augen.
Doch nicht immer war der Himmel so wolkenfrei wie an diesem Tag. Er denkt an den 11. März 2011, als er sich mit der größten Krise seines Berufslebens konfrontiert sah. Tokio, 14:46 Uhr: Die Erde bebte. In hohem Sprechtempo berichtet er: »Ich habe gedacht: Das war’s. Die ganze Stadt hat gewackelt.« Hotelevakuierung. Stromausfall. Menschen im Schockzustand. Als die Erde wieder stillstand, leitete er weitere Schritte des Krisenmanagements ein. »Ich war im 28. Stock und sah einen riesigen Feuerball am Himmel, eine Explosion.« Jetzt begriff er das Ausmaß des Bebens, blieb ruhig und rief seinen Chefeinkäufer an. »Ito San, ich möchte, dass Du so viel Toilettenpapier und Wasser kaufst wie es geht.« Wasser, klar. Aber Toilettenpapier? Seine Antwort kam schnell. »Auf die Toilette zu gehen – ohne Papier – ist unangenehm.« Dem Beben folgte ein Tsunami, der die Reaktorkatastrophe in Fukushima auslöste. Die Folgen waren zu diesem Zeitpunkt ungewiss, das Hotel ausgebucht. »Alle haben zusammengehalten.« Drei Nächte schlief Wolfgang Krüger aus Sorge vor Nachbeben in seinem Büro. Und das viele Toilettenpapier? Er lacht und nickt. »Das haben wir gebraucht.«
Die Definition von Luxus
Sechs Monate nach der Katastrophe wechselte er nach Hongkong. Die Erinnerung bleibt. »Eine prägende Zeit.« Die Krise gemeistert. Und Niederlagen? »Ja. Eine Beziehung zu führen, wenn man so fixiert ist auf den Beruf, ist schwer.« 1994 heiratete er eine Skandinavierin. Sie zog mit ihm durch Asien, von Hotel zu Hotel. 2006 beendeten sie die Ehe – ohne Streit, aber mit der Enttäuschung, gescheitert zu sein. »Da habe ich versagt.« Schnell löst sich sein ernster Ausdruck wieder. Seit der Kochlehre hat er an seinem beruflichen Weg nie gezweifelt. Mittlerweile fördert er junge Talente und auf den Philippinen finanziert er den Lebensunterhalt von fünf Schulkindern. »Oben angekommen« – umgeben von Luxus – spürt er stets den Boden unter seinen Füßen. »Luxusempfinden ist sehr subjektiv. Die meisten Europäer wünschen sich eine Kaffeemaschine im Zimmer, viele Asiaten eine Packung Instantnudeln.« Die Wünsche des Gastes zu erkennen und mit Selbstverständlichkeit zu erfüllen – seine Devise. »Zeit für mich selbst, Reisen, Zeit mit Freunden – das ist für mich Luxus. Ansonsten hab’ ich’s auch gern einfach.« Das Weihnachtsfest wird Wolfgang Krüger mit seiner Mutter und den Geschwistern in Flensburg verbringen. Die Einkaufsliste für das diesjährige Menü hat er seiner Mutter schon mitgeteilt: Würstchen und Kartoffelsalat. Luxus.
Shangri-La InternatioNAl Hotel Management Ltd
28/F Kerry Centre, 683 King‘s Road
Quarry Bay, Hong Kong
www.shangri-la.com
Ausgangspunkt: Eröffnung des ersten Shangri-La Hotels in Singapur im Jahr 1971
Aktuelles Portfolio: 100 Luxushotels und Resorts in 27 Ländern