Von der Knödelfabrik zum Kultquartier Neue Hotellandschaft im Münchner Werksviertel

Musterzimmer im Gambino Hotel Werksviertel – mit Blick auf den Bauplatz des Konzerthauses, auf dem sich heute noch das Riesenrad Hi-Sky befindet. © Gambino

Das Münchener Werksviertel ist eines der spannendsten Stadtentwicklungsprojekte Deutschlands. Neben einem vielfältigen Mix aus Kultur-, Wohn- und Bürobauten entstehen auf dem ehemaligen Industrieareal auch mehrere spannende Hotelkonzepte. Ein Blick in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.

Es ist zwar noch immer zum großen Teil Baustelle, dennoch strahlt das Münchner Werksviertel bereits jetzt eine urbane Vitalität aus, über die kein anderes Stadtentwicklungsgebiet der Metropole verfügt. Und das nicht obwohl, sondern gerade weil das weitläufige Gelände am Ostbahnhof nie als ein solches angelegt war. Anfänglich war es stattdessen kaum mehr als ein unprätentiöses Industrieareal mit Gleisanschluss.

Ursprünglich war das Werksviertel ein Gewerbe­gebiet, in dem Knödel, Motorräder, Kleidungsstücke und Schmierstoffe hergestellt wurden. © Werksviertel

Pfanni verarbeitete dort Kartoffeln zu Knödeln, Zündapp stellte Motorräder her, Konen schneiderte Kleidungsstücke und Optimol produzierte Schmierstoffe. Ab Mitte der 1980er-Jahre verließen die Firmen allerdings nach und nach den Standort, bis 1996 endgültig die Lichter ausgingen. Mit dem Wegzug der Firmen etablierten sich auf dem Gelände erst der Kunstpark Ost, später die Kultfabrik und die Optimolwerke – Orte, die der Subkultur und dem Partyvolk Münchens und darüber hinaus ein neues Zuhause boten. Auch wenn all diese Zwischennutzungen in dieser Form längst nicht mehr existieren, prägen Clubs, Bars, Restaurants, Eventlocations, aber auch Künstlerateliers, Start-ups sowie Kunst- und Antikflohmärkte bis heute das Gelände.
Lag das nur drei Kilometer von der Frauen­kirche entfernte Gelände vor 20 Jahren gefühlt noch hinter der Stadtgrenze, wird es heute nicht zuletzt aufgrund des stetigen Stadtwachstums und der steigenden Grundstückspreise als innerstädtisches Quartier wahrgenommen. Die Folge: Zunächst siedelten sich an den teilweise von verfallenden Industriehallen geprägten Rändern des Areals immer mehr Unternehmen und Büros aus dem Kreativ- und Designbereich an, dann rückte schließlich dessen Zentrum in den Mittelpunkt des Interesses.

Ein neues Konzerthaus als treibender Motor

Im Zuge dieser Entwicklungen entstanden zahlreiche Ideen und Projekte, die seit einigen Jahren zu einem langsamen Wandel im Herzen des Werksviertels führen. Einige alte Werksgebäude wurden aufwendig saniert, während anderswo Gebäude verschwanden. Dass selbst das eigentliche Zentrum des Viertels noch bis vor wenigen Jahren fast nur bei Partygängern bekannt war, änderte sich schlagartig mit der Bekanntgabe der Stadt, an dieser Stelle ein neues Konzerthaus für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu errichten.

Im Herzen des Werksviertels soll in den nächsten Jahren ein neues Konzerthaus, unter anderem für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, entstehen. © Werksviertel

Den 2017 entschiedenen Wettbewerb gewann das österreichische Büro Cukrowicz Nachbaur Architekten mit einem Entwurf, der subtil den Geist des Areals widerspiegelt. Das Konzerthaus versteht sich – anders als die Elbphilharmonie – nicht als expressive Eventarchitektur, sondern als vergleichsweise bescheidenes Haus mit Satteldach, das sich in eine urbane Struktur aus völlig unterschiedlich hohen und vielfältig gestalteten Gebäuden integriert. Eine weitere Besonderheit ist, dass dieser Ort der Hochkultur auch in Zukunft von zahlreichen Livebühnen für Musicals und Konzerte aller Art umgeben sein soll.
Der Startschuss zum Bau des Konzerthauses ist noch nicht gefallen, doch der Ort ist schon seit Frühjahr 2019 ein Hotspot: Unmittelbar neben dessen Baufeld befindet sich bis zur geplanten Fertigstellung des Konzertsaals 2021 das Hi-Sky – das mit 78 Metern Höhe größte mobile Riesenrad der Welt und zugleich größte Riesenrad Deutschlands. Die halbstündige Fahrt eröffnet nicht nur einen sensationellen Blick über die Stadt und auf die Alpen, sondern auf das gesamte Werksviertel. Von oben gut zu sehen sind neben den (sub)kulturell genutzten Gebäuden und Büros auch einige Wohnungsbauten, die zusammen einen Mix aus Arbeiten, Wohnen, Kultur und Gastronomie entstehen lassen. Daneben werden zeitnah mehrere spannende Hotelkonzepte entstehen, die sich an völlig unterschiedliche Altersgruppen mit völlig unterschiedlichen Budgets richten.

Vielfältige Hotelangebote

Anfang 2021 soll beispielsweise ein neues Haus der österreichische Hostelgruppe Wombat’s The City Hostel eröffnen. Dieses befindet sich in den unteren zehn Geschossen des mit 86 Metern höchsten Gebäudes des Werksviertels, dem Werk 4 – einer von Steidle Architekten geplanten Aufstockung eines ehemaligen Silos direkt südwestlich des geplanten Konzerthauses. Auf insgesamt 5.000 Quadratmetern sind 500 Betten sowie die rund 200

Mit 86 Metern Höhe ist ein aufgestocktes ehemaliges Silo nun das höchste Gebäude des Werksviertels. Hier werden 2021 zwei Hotels eröffnen. © Werksviertel

Quadratmeter große „Wombar“ geplant, in der Reisende und Einheimische zum Frühstück und zum abendlichen Feiern bei „budgetfreundlichen“ Getränkepreisen aufeinandertreffen sollen. Im ersten Obergeschoss sind neben der Rezeption und der Lobby auch eine Gästeküche, Gäste-Waschmaschinen sowie ein Chill-out-Bereich und eine Terrasse vorgesehen.
In den darüberliegenden 14 Obergeschossen wird das neue Adina Hotel untergebracht sein, das 179 Studios mit 30 Qua­dratmetern, 49 One Bedroom Apartments mit 35 Qua­dratmetern sowie sechs Two Bedroom Apartments mit 45-77 Quadratmetern Fläche bietet. Als Dreh- und Angelpunkt ist das 14. Obergeschoss konzipiert, in dem sich neben der Rezeption und der Lobby auch ein Konferenzbereich und das Restaurant sowie eine Bar mit Wintergarten befinden werden. Von dort aus erreichbar sind, eine Etage höher gelegen, dann auch der Pool, der 70 Quadratmeter große Fitnessraum, eine Sauna mit Stadtblick sowie zwei Außenterrassen. Letztere gehören zum Wellnessbereich beziehungsweise zu einer Outdoor-Bar, die für Events, Meeting- und Konferenzpausen sowie zum Frühstücken zur Verfügung steht. Die Mischung dieser beiden Hotelkonzepte spiegelt innerhalb eines Gebäudes exemplarisch wider, was das ganze Quartier ausmacht: das friedliche Nebeneinander von Hochkultur und Subkultur.
Geschichte des Ortes als ­Reminiszenz für Hotelkonzepte.
Ein weiterer Newcomer unmittelbar nordwestlich des geplanten Konzerthauses ist das Gambino Werksviertel, in dessen 303 rund 15 Quadratmeter großen Zimmern preisbewusste, designaffine Gäste voraussichtlich ab Frühjahr 2020 übernachten können. Untergebracht ist das von den Geschwistern Sabrina Gambino-Kreindl und Alessandro Gambino geführte Haus in einem Neubau mit Betonfassade in ziegelfarbener Optik. Das Hotel versteht sich als unkomplizierter, hochwertiger Ort zum Schlafen, der sich gut in sein Umfeld integriert. Lampen aus alten Lagerhallen, liebevoll aufgearbeitete Werkbänke sowie eine Gestaltung in „reduziertem Industrial Chic“ sollen dabei den Bezug zum ehemaligen Industrieviertel herstellen.
Bereits im Herbst dieses Jahres eröffnet haben das Lifestyle-Hotel Moxy und das mit ihm über einen Innenhof verbundene Extended-Stay-Haus Residence Inn, die – beide durch die Schweizer Betreibergesellschaft SV Hotel betrieben und von Joi Design aus Hamburg gestaltet – nordöstlich des Konzerthauses liegen. Wie schon beim Gambino ist gestalterisch auch beim Moxy mit 146 Zimmern die Geschichte des Ortes prägend. In diesem Fall dient der einst ansässige Motorradhersteller Zündapp als Reminiszenz. So werden Fahrzeugteile, Bremsspuren und Werkzeuge im Design der öffentlichen Bereiche verarbeitet – das Motto in der Lobby ist „ein Motorrad-Ausflug in die Berge“. Das Residence Inn ist für Gäste mit längerem Aufenthalt gedacht und bietet 75 Studios. Und weil sich die Gäste dort wie zuhause fühlen und einen Raum haben sollen, in dem sie in Ruhe arbeiten oder abschalten können, sind die Zimmer größer und in verschiedene Bereiche eingeteilt. Einen geräumigen Kleiderschrank gibt es ebenso wie eine Kitchenette mit zwei Kochplatten, Kühlschrank, Mikrowelle und Spülmaschine.

Den kreativen Geist erhalten

Letztlich wird es im Werksviertel auf relativ kleiner Fläche ein großes Angebot an völlig unterschiedlichen Hotelkonzepten geben, die dem kreativen und lässigen Charakter des Quartiers entsprechen. Zusammen mit den geplanten und bereits realisierten Gebäuden, wie etwa dem von den niederländischen Architekten MVRDV geplanten Werk 12 mit seinen riesigen lautmalerischen Worten in der Fassade, besteht die Chance, dass sich das Werksviertel gerade nicht zur Satellitenstadt entwickelt. Vielmehr könnte es gelingen, den seit 20 Jahren prägenden kreativen Geist zu erhalten. Die Folge wäre eine beispielhafte „Stadt“-Erweiterung, die ihren Namen wirklich verdient und darüber hinaus internationale Strahlkraft haben wird.