Steven Holl Loisium-Projekt nach 20 Jahren vollendet

Außenansicht Loisium Zubau
Letzter Baustein des Großprojekts, an dem Architekt Steven Holl 20 Jahre lang arbeitete: Der Zubau mit den prägnanten Tonnendächern, Tagungsflächen und 30 Zimmern. © Bekki Hoffmann

In Langenlois, inmitten der Weinberge Niederösterreichs, steht das Loisium Wine & Spa Hotel inklusive Weinwelt, das nun um einen Neubau mit 30 Zimmern und Konferenzzentrum erweitert wurde. Das New Yorker Büro Steven Holl Architects vollendete damit ein Ensemble, an dem es seit rund zwanzig Jahren leidenschaftlich plante und feilte.
Lössböden zählen zu den fruchtbarsten Böden und eignen sich perfekt für den Weinanbau. Da die Gegend um Langenlois nicht nur damit, sondern auch mit einem ausgesprochen milden Klima gesegnet ist, wurde in der fast eintausendjährigen Geschichte der Kleinstadt 70 Kilometer nordwestlich von Wien kaum je etwas anderes angebaut als Wein. Gleichzeitig bietet der Boden beste Voraussetzungen für die Weinlagerung, da Temperatur und Luftfeuchtigkeit ganzjährig nahezu konstant sind. So gibt es in der Region viele im Löss angelegte Kellergewölbe, die infolge veränderter Weinproduktionsmethoden allerdings lange Zeit leer standen.

Nutzung der alten ­Kellergewölbe

Vor etwas mehr als 20 Jahren entstand auf private Initiative die Idee, die ungenutzten und labyrinthartig verschachtelten Gewölbe zu reaktivieren und unter dem Namen „Loisium“ der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – gleichsam als Ausgangspunkt eines touristischen Gesamterlebnisses rund um das Thema Wein. Die wieder begehbaren Keller sind heute ebenso Teil des Loisium-Gesamtensembles wie die 2003 eröffnete Weinwelt, in der Besucher mehr über die edlen Reben und deren Verarbeitung erfahren, und das zwei Jahre später fertiggestellte Hotel. Beide Gebäude stammen aus der Feder des New Yorker Büros Steven Holl Architects.

Letzter Baustein eines ­umfassenden Gesamtkonzepts

Wenn andere Leute allmorgendlich zur Kaffeetasse greifen, nimmt Steven Holl erst einmal Skizzenblock und Wasserfarben zur Hand: "Jedes meiner Projekte muss mit einem ganz eigenen Konzept auf diesem kleinen Stück Papier beginnen – mit einem leeren Kopf und unvoreingenommenen Inspirationen." Als er im Jahr 2001 beauftragt wurde, ein Gesamtkonzept zu erstellen, zeigte er sich von der archaischen Prägnanz der bis zu 900 Jahre alten Kellergewölbe so überwältigt, dass er diese zum zentralen Thema seines Entwurfs machte.

Residieren über Reben

Während die Weinkeller naturgemäß komplett unter der Erde liegen, versenkte er die im Inneren vollständig mit Kork ausgekleidete Weinwelt, in der Kunst, Wein und Design auch in Form eines Eventzentrums sowie eines Verkostungsbereichs zueinanderfinden, zu gut einem Drittel in den Boden eines Weingartens. Im Kontrast dazu steht das Loisium-Hotel: Nur wenige hundert Meter weiter nördlich errichtet, verfügt es über 82 Zimmer, in denen die Gäste hoch über den nah an das Gebäude heranreichenden Reben residieren. Der erst diesen Sommer mit 26 Zimmern, vier Suiten und einem Konferenzzentrum eröffnete Erweiterungsbau bildet westlich des Hauptgebäudes den letzten Baustein des vor nunmehr fast 20 Jahren entwickelten Gesamtkonzepts.

Mehr Kapazitäten geschaffen

Anlass für die Planung des freistehenden dreigeschossigen Gebäudes, das heute "Pinot"-Haus genannt wird, waren der hohe Nachfragedruck und wirtschaftliche Überlegungen. "Durch die Kapazitätserhöhung können wir die Segmente Privatgast und Firmenevents besser steuern und gelangen zu mehr Flexibilität in der Vergabe der Zimmer", sagt Mustafa Özdemir, Managing Partner und geschäftsführender Gesellschafter bei Loisium. "Durch die Erweiterung wurden aber auch die Produktivität erhöht und die wirtschaftliche Entwicklung für die Zukunft gesichert, um wettbewerbsfähig zu bleiben." Dass Steven Holl zusammen mit den Wiener Büros Sam-Architects und Ottreinisch Architecture wieder die Planung übernehmen würde, stand im Sinne der nahtlosen Projektfortführung von vornherein fest.

Tonnenform als Reminiszenz an Kellergewölbe

Wenn man die Vorgeschichte des Gesamtprojekts und den Bezug zum Weinbau vor Ort kennt, ist es nicht überraschend, dass das äußere Erscheinungsbild des Erweiterungsbaus vor allem von halbkreisförmig gewölbten Tonnendächern geprägt ist. Anders als die bereits fertiggestellten Bauten befindet sich der jüngste Zubau nicht im oder über dem Boden. Vielmehr hat Architekt Holl in diesem Fall die unterirdischen Gewölbe bildhaft aus der Erde ans Tageslicht geholt.
Exakt die gleiche Tonnenform und das gleiche Material (Sichtbeton) verwendeten die Architekten auch für den unterirdischen Gang, über den der Neubau mit dem Hauptgebäude verbunden ist. Egal, ob die Gäste und Konferenzteilnehmer nun diesen Tunnel oder die Freibereiche nehmen – zunächst gelangen sie in ein großes Foyer. Von dort aus sind nach Süden die Zimmer und nach Norden der 400 Quadratmeter große Konferenzbereich erschlossen. Letzterer bietet einen in drei Räume teilbaren, technisch voll ausgestatteten Saal für Veranstaltungen von bis zu 218 Personen sowie zwei Boardrooms für kleinere Arbeitsgruppen und eine ergänzende Cateringküche, in der die Verpflegung zubereitet werden kann.

Sichtbeton und Kastanienholz

Gleich nach Betreten des Foyers wird ein grundlegender gestalterischer Unterschied zum Hauptgebäude deutlich. Denn statt der nuanciert gedämpften Farbpsychologie der dortigen öffentlichen Bereiche und der vor allem weißen und schwarzen Oberflächen der Gästezimmer sind im Neubau insbesondere Sichtbeton und Holz vorherrschend.
Während im Konferenzbereich nicht zuletzt aus akustischen Gründen der Baustoff Holz überwiegt, sorgen die konsequent in Sichtbeton gehaltenen Zimmerwände und -decken für eine asketisch-zurückhaltende Atmosphäre, die an ein Kloster denken lässt. Was dieses Gefühl verstärkt, sind die durchweg regelmäßigen Achsabstände, die nicht nur zu nahezu gleich großen Zimmern mit rund vier auf acht Metern Grundfläche, sondern auch zu einem Gebäude mit äußerst klaren Strukturen führen.
Besonders intensiv spürbar ist diese Atmosphäre in den Zimmern im zweiten Obergeschoss, die allesamt über ein Tonnengewölbe verfügen – lediglich die Suiten erstrecken sich über zwei Tonnen. Die skulpturale Wirkung der (mit der jeweils gleichen eleganten horizontalen Bretterschalung hergestellten) Gewölbedeckenfertigteile und Ortbetonwände wird hier durch nichts gestört. Beispielsweise gibt es keine an die Decke montierten oder von ihr abgehängten Leuchten, sondern lediglich schlanke LED-Lichtleisten am Fuß des Gewölbes, die ein indirektes Licht erzeugen.
Und auch die Bäder stören die Ordnung nicht: Sie sind jeweils als rechtwinkliger "Raum im Raum" aus Kastanienholz eingestellt und bieten den Gästen auf den zum Zimmer orientierten Seiten Schrankfächer und Regale. Gewissermaßen als ästhetischer Vermittler zwischen dem warmen Kastanienholz und dem grauen Sichtbeton dient der leicht grau abgetönte Boden aus Eichenholz. Für den ungehinderten Blick auf die sanft hügelige Landschaft rund um Langenlois sorgen schließlich vollflächig verglaste Fensterfronten mit großen Schiebetüren.

Architektur als Kunstform

Das Loisium Wine & Spa Hotel ist kein klassisches Designhotel, sondern ein reines Architekturhotel, bei dem vom Rohbau über die Möbel und Wandbekleidungen bis hin zum Türdrücker alles von Steven Holl und seinem Team entworfen wurde. Holl nimmt sich dabei die Freiheit, sich als Künstler-Architekt zu verstehen und die Dinge mit Blick auf die konsequente Symbiose von Inhalt und Form sehr emotional anzugehen: "Jede beabsichtigte Architektur muss eine beabsichtigte Form aufweisen". Grundlage hierfür ist nicht Formalismus, sondern eine künstlerische Architekturauffassung, die ohne einen entsprechend aufgeschlossenen Bauherrn kaum umzusetzen gewesen wäre. "Wenn man einen guten Auftraggeber hat, kann man einen guten Job machen", so Holl.

Ganzheitliches Bauwerk

Mit dem Loisium Wine & Spa Hotel als Gesamtprojekt ist ein ganzheitlich durchdachtes und ausgeführtes Baukunstwerk entstanden, in dem gelesen werden kann wie in einem Buch. Einige Gäste werden darin gedankenverloren und fasziniert hin und her blättern, während andere primär ein Viersternehotel mit diversen Annehmlichkeiten und einem 1.400 Quadratmeter großen Wellnessbereich sehen. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben dem Hotel jedoch gezeigt, dass ein sehr großer Teil der Gäste ganz gezielt gerade wegen des außergewöhnlichen architektonischen Ensembles hierherkommt. Insofern kann man sagen, dass die Idee des Loisium-Konzepts, Baukunst und Wein zu verknüpfen, durchaus aufgegangen ist.
Autor: Roland Pawlitschko