Prof. Dr. Max Schlereth im #Monotalk Zum Thema Werte

Prof. Dr. Max Schlereth, CEO und Gesellschafter der Living Hotels. © Living Hotels/Thorsten Jochim

Prof. Dr. Max Schlereth, CEO und Gesellschafter der Living Hotels der Derag Unternehmensgruppe, setzte vor rund zwei Jahren einen Change-Prozess auf und gestaltete diesen mit Blick auf die Mitarbeiter-Identität. Daraus ist eine Corporate Identity entstanden, mit der sich die Mitarbeiter identifizieren, weil sie sich gesehen und berücksichtigt wissen. Ein Gespräch über die Verantwortung als Unternehmensnachfolger und Führungskraft sowie die Leidenschaft für Innovation und Philosophie.
Tophotel: Herr Schlereth, Sie führen das Familienunternehmen in der zweiten Generation. Welche Werte hat ihr Vater Ihnen mit auf den Weg gegeben?
Max Schlereth: Werte, derer ich mir früher gar nicht so bewusst war. Und wahrscheinlich er auch nicht. Es hat viel mit Disziplin, mit Verantwortung zu tun. Und mit Willensstärke. Aber das Stärkste, was er mir mitgegeben hat, ist kein inhaltlicher Wert, sondern die Tatsache, dass er extrem hinter mir stand. Auch wenn ich in der Schule chaotisch war – ich habe immer gespürt, dass er da ist und mir Halt gibt. Und dadurch habe ich wahrscheinlich auch das notwendige Selbstvertrauen gewonnen.
Sie haben ein Familienunternehmen übernommen, sind gleichzeitig Dozent für Innovationsmanagement. Wie halten Sie die Balance zwischen Tradition und Moderne?
Es braucht beides. Das ist wie in der Biologie. Wenn die Lerngeschwindigkeit des Organismus geringer ist als die Veränderungsgeschwindigkeit der Umwelt, dann stirbt der Organismus. Aber wenn er sich zu schnell verändert, ist er nicht mehr er selbst. Es braucht also auf der einen Seite die Innovation, auf der anderen Anschlussfähigkeit an das Bestehende. Viele Unternehmen gründen Innovationsabteilungen und geben diesen so viel Freiraum, dass Sachen herauskommen, die überhaupt nicht anschlussfähig an den Gesamtorganismus sind. Ohne den Gegenpart des Traditionellen hat Innovation keine Wirkung.
Gibt es einen Diskurs mit ihrem Vater, Dinge, die sie jetzt schon verändern wollten?
Natürlich habe ich mit meinem Vater Diskussionen gehabt. Am laufenden Band. Manches wollte ich schon viel früher machen, manches andere habe ich zum Glück dann nicht gemacht. Wieder anderes habe ich zum Glück dann doch durchgezogen. Es wäre schade, wenn es nicht so wäre. Traditionalismus auf der einen Seite führt zur Verstaubung, reine Innovation um der Innovation willen führt zu Beliebigkeit.
Was zeichnet einen innovativen Unternehmer aus?
Es ist der Sinn für das Unmögliche. Innovative Unternehmer sind Unternehmer, die ihr Lehrbuchwissen im Kopf haben, sich aber im richtigen Moment trauen, darauf zu pfeifen. Mutige Unternehmer, die ihrer Intuition gefolgt sind. Und die damit Erfolg hatten. Oder Misserfolg.
Das klingt, als hätten Sie keine Angst vor dem Scheitern?
Nein, scheitern musst du. Weil du daran nachhaltig mehr wächst als durch das Gelingen der Innovation. Weil, man weiß eigentlich nie, warum etwas geklappt hat. Man weiß meist nur, warum etwas nicht geklappt hat. Das ist der Lernprozess. Auch wenn man natürlich nicht scheitern will. Hat man Angst davor, wagt man nichts.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Mein aufblasbares Hotel ist eine gescheiterte Innovation – transportable und komplett ausgestattete Hotelzimmermodule, die sich in eine toilettensitzhohe Plattform verpacken und an beliebige Einsatzorte transportieren und auffalten lassen. Zum Beispiel während großer Messen, wo mehr Hotelzimmer in einer Stadt benötigt werden. Die Idee ist gar nicht so absurd, wie sie klingt. Warum heißt es in der Hotellerie immer Location, Location, Location? Das ist das Gravitationsgesetz unserer Branche. Weil du investieren musst in einen Platz, von dem du glaubst, dass selbst in 50 Jahren noch die Nachfrage zum Angebot kommt. Aber wenn du das Angebot zur Nachfrage bringen kannst, hast du das Locationproblem nicht mehr. Ich habe noch die Patente darauf, und vom Zimmer habe ich einen Prototypen.
Sind Sie eher Bauchmensch oder eher Kopfmensch?
Ich weiß, dass der Kopf Grenzen hat, ab einem gewissen Punkt braucht es den Bauch, um zu entscheiden. Das ist im Übrigen der Grund, warum unternehmerische Menschen nicht zwingend große Kopfmenschen sind. Wenn du nur vom Kopf her Entscheidungen treffen musst, wirst du nie entscheiden. Weil du viel zu viel denken musst. Der Moment, von dem der Philosoph Søren Kierkegaard sagte, ‚egal, was Du tust, du wirst es bereuen‘, ist der Moment in dem man entscheiden kann.
Ihre Dissertation trägt den Titel ‚Unternehmerisches Sein zwischen Realismus und Kunst: Ein philosophischer Versuch zur Unternehmensführung‘. Schlägt Ihr Herz stärker als Unternehmer oder stärker als Philosoph?
Ich kann das nicht scharf trennen. Aber es ist schon richtig, dass da zwei Seelen in meiner Brust leben. Ich habe gemerkt, dass ich das, was ich aus der Philosophie habe, im unternehmerischen Leben eigentlich stärker verwenden kann als das betriebswirtschaftliche Wissen. Das Betriebswirtschaftliche ist ein Handwerk. Das ist so ähnlich, wie wenn Sie Klaviervirtuose sind, dann müssen Sie einfach Ihre Finger gut bewegen können. Das ist mein BWL-Wissen, das ist völlig klar. Aber das, was man dann daraus macht, das ist ein bisschen eine andere Ebene. Und da hilft mir die Philosophie weit mehr als BWL. Zumal die Halbwertszeit von betriebswirtschaftlichen Wissen ja ein bisschen weniger groß ist als die von philosophischem.
Und das bedeutet für Ihre Unternehmenskultur?
Das heißt, dass wir weit davon entfernt sind zu glauben, dass man in einer Controlling-Mentalität, und das ist leider sehr oft der Fall, eine Unternehmenskultur steuern und der Strategie entsprechend anpassen kann. Gerade wenn zwei Menschen oder Abteilungen miteinander in Konflikt sind, lässt sich das nicht durch eine technische Lösung beseitigen. In einem solchen Fall praktizieren die Betroffenen in der Regel verschiedene Sprachspiele. Es kann also überhaupt keine Kommunikation stattfinden. Da müssen Sie einen tiefergehenden Diskurs einleiten. Und da hilft mir die Demut. Demut ist ein Wert, den ich sehr hoch halte.
Welche Haltung beschreibt Ihre Führungskultur?
Wir beurteilen nicht, wir beschreiben. Es geht doch nicht um Stärken oder Schwächen eines Mitarbeiters, sondern um seine Eigenschaften. Wir beschreiten gerade neue Pfade beim Personalgespräch, wir nennen es Porträt: Führungskräfte und Mitarbeiter beschreiben gegenseitig, wie sie sich sehen. Auf dieser Basis werden dann die Ansätze der Entwicklung besprochen. Wir wollen unsere Mitarbeiter in sich selbst und ihren persönlichen, sie ausmachenden Eigen-Arten bestärken und fördern. Mit allen Ecken und Kanten. Auf keinen Fall machen wir aus den Menschen in unseren Häusern einfach nur das, was wir brauchen.
Welcher Wert beschreibt die Living Hotels?
Authentizität ist bei uns ein Wert, der auch unsere neue CI maßgeblich prägt. Wir haben beim Change-Prozess von Anfang an nicht über Claims, Farben und Layout gesprochen, sondern darüber, wer wir sind. Entstanden ist ein Unternehmens-Bewusstsein, das für die Mitarbeiter und Gäste authentisch und erlebbar ist. Oder anders: Nur in einem authentischen Umfeld kann jeder dazu beitragen, dass der Hotelaufenthalt zum Erlebnis wird. Wir sprechen von ‚Living Moments‘, die gleichermaßen Werteverständnis und Marken-Versprechen für Mitarbeiter und Gäste sind. Für ‚Living Moments‘ gibt es kein Regelwerk. Aber jeder kann dazu beitragen, dass sie entstehen: für sich selbst, für das Gegenüber, den Kollegen und den Gast, völlig unabhängig von Position, Zugehörigkeit, Stellung und Verantwortlichkeit. Kleine oder auch größere Augenblicke, die man nicht im Package Arbeitgeber oder Hotel mitgebucht hat, an die man sich aber erinnert, und die man gern mit nach Hause nimmt.
Und welche Werte beschreiben den Privatmenschen Max Schlereth heute?
Der unterscheidet sich nicht so sehr. Der ist nach wie vor ein Chaot, der gern zu viel und zu kompliziert redet.

Zur Person

Prof. Dr. Max Schlereth (47), seit 2016 Geschäftsführender Mehrheitsgesellschafter der Living Hotels, lebt, arbeitet und wohnt mit seiner Familie in München. Er wurde 1972 in der bayerischen Landshauptstadt geboren und absolvierte dort 1991 das Abitur. Bis 1995 studierte Schlereth Betriebswirtschaftslehre in Innsbruck und schloss mit dem „Magister der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften“ ab. 1998 legte er seine Promotion mit dem Thema „Unternehmerisches Sein zwischen Realismus und Kunst – Ein philosophischer Versuch zur Unternehmensführung“ mit Note 1,0 ab. Der Einstieg in das Familienunternehmen Deutsche Realbesitz AG (Derag) folgte 1999. Letztere war 1951 von seinem Vater, Dr. Max Schlereth, gegründet worden und umfasst die Geschäftsbereiche Bauträger, Immobilienverwaltung, Hotels und Serviced Apartments. Seit 2007 ist der Unternehmer als Professor an der Hochschule St. Pölten für die Bereiche Strategisches Management, Innovationsmanagement und Unternehmenssteuerung zuständig. Zudem ist er seit 2014 Board Member des sogenannten „Salzburg Global Seminar“, einer unabhängigen gemeinnützigen Organisation (gegründet 1947), die aktuelle und künftige Führungspersönlichkeiten fördert und ermutigt, Themen von weltweitem Belang zu lösen.