Die meisten Unternehmen belohnen ihre Verkäufer für Eroberungen, aber nicht für Kontinuität. Entsprechend wird für die Kundengewinnung gern viel Geld in die Hand genommen, für die Kundenbindung hingegen eher weniger. Wirklich sinnvoll ist das meist nicht, meint unser Experte Marco A. Gardini.
„Warum sollte ich bei Ihnen kaufen? Für den amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Philip Kotler ist das eine der wesentlichen Fragen aus Kundensicht, für die man als Unternehmen eine möglichst überzeugende Antwort haben sollte. Doch was suchen Kunden eigentlich in der Beziehung zu einem Unternehmen oder Marke? Was ist der Mehrzahl von ihnen wirklich wichtig? Welche Art, Form und Qualität der Beziehung wünschen sie sich und wie wird aus einem Kunden eigentlich ein wahrhafter und treuer Fan?
Viele Unternehmen haben offenbar jenseits sozio-demographischer Daten und simpler verhaltenswissenschaftlichen Modellierungen nur wenig Gefühl dafür für entwickelt, was eine gute oder einzigartige Kundenbeziehung eigentlich ausmacht und wie sie diese individualisieren und managen können. Die US-amerikanischen Wissenschaftler Avery, Fournier und Wittenbraker beschreiben dieses Defizit als „lack of relational intelligence“, und so versenken Unternehmen weltweit in schöner Regelmäßigkeit Millionenbeträge in Customer-Relationship-Projekte, die ihre Namen eigentlich nicht verdienen.
Was macht nun die Beziehungsqualität oder gar eine einzigartige Beziehung aus? Der amerikanische Großinvestor und Unternehmer Warren Buffett soll, nach dem Erfolgsgeheimnis einer guten Ehe befragt, folgendes zu Protokoll gegeben haben: „It´s not looks, it´s not intelligence, it´s not even money. It´s low expectations.“ Als Deutsche-Bahn-Kunde ist das sicherlich ein guter Ratschlag, allerdings stellt sich, zumindest in wirtschaftlichen Beziehungen, dann doch die Frage warum eine wenig zufriedenstellende Beziehung – ausreichende Alternativen vorausgesetzt – eigentlich aufrechterhalten werden sollte.
Beziehungen zwischen Unternehmen, Marken und ihren Kunden sind denn auch selten rein rational oder emotional und spätestens seit sich die Machtverhältnisse in vielen hochkompetitiven Branchen zugunsten der Kunden verschoben haben, auch intensiver und komplexer geworden. Es überrascht kaum, dass es, analog zu der Vielfalt menschlicher Persönlichkeits- und Charakterausprägungen, auch viele Arten und Formen von Kundenbeziehungen zu beobachten gibt, die es im Kontext sozialer Interaktionen und wirtschaftlicher Austauschprozesse zu verstehen und zu berücksichtigen gilt.
So können Beziehungen formell oder informell, positiv oder negativ, stark oder schwach, freiwillig oder erzwungen, kurzfristig- oder langfristig, symmetrisch oder asymmetrisch sein. Ein kurzer Blick in einschlägige Beziehungsratgeber oder Disziplinen wie Psychologie, Ökonomie, Verhaltenswissenschaft, Spieltheorie etc., fördert schnell einige gemeinsame Nenner zutage, wenn es darum geht, was Menschen beziehungsweise Kunden in der Regel von einer Beziehung erwarten – nämlich Vertrauen, Kommunikation, Respekt, Fairness, Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit, Anerkennung, Commitment und Engagement. Und dennoch tun sich viele Unternehmen offenbar schwer, ihre Kundenbeziehungen zu verstehen und zur beidseitigen Zufriedenheit zu gestalten.
Beziehungsqualität
Darunter versteht man ein Konstrukt, das die Transaktions- und Interaktionsfähigkeit eines Unternehmens beschreibt, und das darauf abzielt, die Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden entsprechend den Anforderungen der Kunden langfristig zufriedenstellend zu gestalten.
Ist die Alternative dann, ein Dauerfeuerwerk an Wow-Effekten zu zünden, mit dem Ziel durch permanente Kundenbegeisterung seine Kunden dauerhaft zu binden? Ist die Beziehung zum Kunden im Marketing tatsächlich inhaltlich-konzeptionell wie ein Porno zu betrachten, eine Aneinanderreihung von aufregenden Nummern und ekstatischen Höhepunkten, wie es Christian Blümelhuber, Professor für strategische Organisationsentwicklung in Berlin, vor einigen Jahren provozierend als These in den Raum gestellt hat oder geht es bei der Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden doch um etwas Anderes als um eine kurze aufflammende Begeisterung?
Angesichts der Tatsache, dass es im Verhältnis zum Kunden eher um enge Beziehungen als lose Bekanntschaften geht, sollte das Marketing-Genre dann doch eher der Liebes- oder Freundschaftsfilm sein – und so bedarf es eines Perspektivenwechsels: von einer simplen Kundenorientierung zu einer dezidierten Beziehungsorientierung, mit der Beziehungsqualität als zentraler Erfolgsgröße der Kundenbeziehung. Die strategische Kernfrage lautet daher: „Sind meine Kundenbeziehungen stabil und resilient, die Kundenstruktur ausgewogen und zukunftsfähig, und welche meiner Kunden sind heute und morgen noch attraktiv und profitabel?“
Den Fokus auf die Beziehungsqualität zu richten heißt denn auch Abschiednehmen vom Einheitskunden, der Standardbeziehung und der Dominanz der permanenten Neukundenakquise. Solange jedoch bei vielen Unternehmen die krude Logik dominiert, in Neukunden mehr zu investieren als in langjährige Bestandskunden, wird aus der ersten vielversprechenden Begegnung und den großen Gefühlen zumeist keine Beziehung für die Ewigkeit.
Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Marco A. Gardini, Professor für Tourismus-Management an der Hochschule Kempten
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#MonotalkAnna Heuer über Sales & Marketing
Anna Heuer ist seit April 2020 Verbandsgeschäftsführerin der HSMA. Im Gespräch mit Tophotel analysiert sie die Trends und Entwicklungen beim Vermarktungsprozess von Hotels.
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