Kerstin Reiner im Porträt: Die geborene Gastgeberin Kerstin Reiner im Porträt: Die geborene Gastgeberin

Kerstin Reiner weiß, wie man eine Gastgeberin ist. © Andreas Amann
Von Windhoek nach Australien, über München nach Berlin – Kerstin Reiner hat mit 27 Jahren schon eine weite Reise hinter sich gelegt, auch beruflich. Die Assistant Managerin im Hotel Adlon Kempinski in Berlin zog es bereits mit zwölf Jahren ins Gastgewerbe. 2019, damals noch Supervisorin Bankett, gewann sie auch das Stipendium der Alfred-­Brenner-Stiftung. Mit einem Erdbeerkuchen in Afrika fing alles an. Gebacken hat ihn die damals achtjährige Kerstin Reiner, die heute, 19 Jahre später, erfolgreiche Assistant Managerin und Teamasterin im Hotel Adlon Kempinski Berlin ist. Dass sie knapp 8.000 Kilometer von ihrer Heimat Windhoek in Namibia entfernt gelandet ist, hat sie nicht zuletzt ihrem Ehrgeiz und ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken. Und einer Eigenschaft, die die neue Preisträgerin des Alfred-Brenner-Stipendiums besonders deutlich auszeichnet: ihre naturgegebene Gastfreundlichkeit. Die aufrechte Haltung, der fokussierte Blick auf das Gegenüber und das strahlende Lächeln in ihrem Gesicht, das ganz ohne Worte sagt: „Du kannst dich fallen lassen, ich kümmere mich um dich.“

Nur von den Besten lernen

Schon als junges Mädchen stand Kerstin Reiner gern in der Küche, um andere Menschen glücklich zu machen. Mit erst zwölf Jahren arbeitete sie in Windhoek für ein Cateringunternehmen. „Ich wurde nicht zur Arbeit gezwungen, mir hat es einfach schon damals Freude bereitet, als kleine Kellnerin bei Events zu arbeiten. Ich habe mich dann hochgearbeitet zur Kassiererin.“ Ihren Einstand in der Hotellerie hatte sie mit 16 Jahren an der Rezeption. Lernen wollte sie nur von den Besten. Deshalb packte sie im Februar 2011 ihre Koffer und flog mit 1.000 Euro in der Tasche nach München. „Das war damals die einzige Direktverbindung von Namibia nach Europa. Sonst wäre ich dort vielleicht gar nicht gelandet“, verrät die Supervisorin. Dort angekommen, ergatterte sie einen Ausbildungsplatz im Hotel Vier Jahreszeiten. Der Weg dorthin führte über eine Googlesuche nach den besten Fünfsternehotels der Stadt. Nach der Zusage packte Kerstin Reiner erneut ihre Koffer. Los ging die Reise nach Australien zum „Ein-bisschen-Äpfel-Pflücken“, bevor in Deutschland ein paar Monate später die Ausbildung startete. Da sie sich von ihrem Azubigehalt keine eigene Wohnung leisten konnte, strandete sie bei ihrer Schwester auf der Couch. Bis sie sich im dritten Lehrjahr eine kleine Wohnung leisten konnte, lebte sie dort und in Wohngemeinschaften. Da gab es manchmal nicht mehr als nur ein Butterbrot zu essen. Doch das nahm die heute 27-Jährige gern in Kauf. „Man muss lernen, dass es auch schwierige Zeiten gibt, und muss dann auch bescheiden sein. Auch wenn ich mir nicht viel leisten kann, habe ich trotzdem den Luxus, hier sein zu dürfen. Da isst man eben nur Butterbrot.“

Selbstgewählter Abstieg

Nach dem Vier Jahreszeiten führte sie der Weg nach Frankfurt am Main ins Kempinski Falkenstein Grand und in die Villa Rothschild. Nachdem sie im F&B-Bereich startete, wurde sie nach etwa einem halben Jahr Supervisorin. Das empfand sie aber selbst als unverdient, fast unmittelbar nach der Ausbildung eine solche Stelle zu übernehmen. Deshalb arbeitete sie danach sechs Monate auf einem Kreuzfahrschiff als Commis de Rang. „Ich wollte wieder ganz unten anfangen, weil ich mir dachte, wenn ich die Stelle als Supervisorin verdient habe, dann werde ich mich schnell wieder hocharbeiten.“ Gesagt, getan. Das Schiff verließ sie in dieser Position und mit vielen für sie wichtigen Erfahrungen. „Ich habe das geschafft und viel schlimmer kann es nicht werden. Mich bringt jetzt nichts mehr aus der Ruhe“, betont sie. Sechs Monate arbeiten am Stück, immer mit dem Druck, funktionieren zu müssen, davon musste sie sich erstmal erholen. „Ich glaube, ich habe gefühlt zwei Monate abwechselnd geschlafen, gegessen, geduscht, geschlafen. Danach war ich ein neuer Mensch“, erzählt sie fröhlich. Seit 2016 ist Kerstin Reiner im Hotel Adlon Kempinski beschäftigt. Im Restaurant hat sie als Demi Chef de Rang angefangen und ist dann ins Bankett als Chef de Rang gewechselt. Auch dort hat sie sich wieder zur Supervisorin hochgearbeitet. Jedes Jahr wurde sie befördert, was für sie ein gesunder Turnus ist. Ihr ist es lieber, nicht zu schnell aufzusteigen, sondern langsam, aber sicher. „Das Haus soll ein sicheres Fundament haben. Sonst stürzt es irgendwann ein“, ist sie überzeugt. Auch damit begründet sie ihren Schritt, auf dem Schiff nochmal ganz unten angefangen zu haben. Ein Vorgesetzter muss wissen, wie sich der Spüler und das Zimmermädchen fühlen. Das steigert die Wertschätzung für sie und deren Arbeit. Wertschätzung hat Kerstin Reiner noch auf anderem Boden gelernt. Um Teamasterin zu werden, war sie zwei Wochen auf einer Teeplantage in Sri Lanka tätig. „Wenn man bei 40 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit in diesen steilen Hängen sitzt, immer wieder abrutscht und nach zwei Stunden diesen traurigen Ertrag im Korb sieht, entwickelt man eine Liebe zum Produkt“, betont sie.
"Ich bin nicht so weit gekommen, um durchschnittlich zu sein. ­Strive to be the best.“

„Tue es mit Hingabe“

Dass sie ihren Weg konsequent mit allen Höhen und Tiefen gegangen ist, liegt auch an ihrem Ehrgeiz. Schon als Jugendliche hat sie viel lieber gearbeitet, statt über Büchern zu brüten. Die Zielstrebigkeit hat sie ihren Eltern zu verdanken. Vater und Mutter hatten zwischenzeitlich zwei Jobs, um den beiden Töchtern die Privatschule in Windhoek zahlen zu können. „Ich bin nicht vom Geldbaum gefallen“, sagt sie. Von ihrer Mutter hat sie den für sie vielleicht wichtigsten Rat auf den Weg bekommen: Egal, was du machst, tue es mit Hingabe, und du wirst erfolgreich sein. Die Aufopferung der Eltern war auch der Ansporn, sich auf die Fünfsternehotellerie zu fokussieren. „Ich bin nicht so weit gekommen, um durchschnittlich zu sein. Strive to be the best“, ist ihr Mantra.

Hol- und Bringschuld

Im Umgang mit ihren Mitarbeitern ist ihr vor allem die Fairness wichtig und, nicht zu vergessen, dass auch sie einmal klein angefangen hat. „Ich bin nicht allwissend. Jeder hat spannende Ansätze, auch die externe Aushilfe. Was ich nicht leiden kann ist Faulheit und wenn jemand versucht, mich zu veräppeln oder mich nicht ernst nimmt. Dann bin ich sauer.“ Sie selbst kann sich im Hotel Adlon ­Kempinski auch über Chefs freuen, die sie unterstützen. Als sich Kerstin Reiner auf das Alfred-Brenner-Stipendium bewerben wollte, fragte sie ganz vorsichtig bei ihrem Vorgesetzten nach. Der unterstützte sie sofort. „Ich finde, es ist immer eine Hol- und eine Bringschuld. Wenn man dem Unternehmen gegenüber Loyalität zeigt, bekommt man sie auch irgendwann zurück“, ist sie sich sicher. Ihr Engagement hat sich gelohnt: 2019 konnte sie im Brenners Hotel den Preis entgegennehmen. „Von dem Geld werde ich erstmal die Studiengebühren bezahlen“, freute sie sich. Am liebsten würde sie für alle Aufgabenbereiche im Hotel einmal tätig gewesen sein, um für die Mitarbeiter ein Vorbild zu sein. „Aber ich glaube, alles werde ich nie machen können. Dann müsste ich 200 Jahre alt sein und wäre nicht viel weitergekommen.“ Für ihre Zukunft wünscht sich Kerstin Reiner, nachhaltig etwas für die Branche tun zu können. Derzeit schwebt ihr vor – unter Berücksichtigung der politischen Situation und der daraus resultierenden Gefahren – eine Lodge in Namibia zu gründen, wo sie Menschen ausbildet. Sollte das nicht klappen, würde sie gerne in der Personalentwicklung tätig sein. Denn ihrer Meinung nach gibt es Stellschrauben, an denen gedreht werden muss, damit sich die personelle Situation in den Hotels entspannt. „Dieses alte Arbeitszeitmodell muss überarbeitet werden. Die Mitarbeiter wollen mehr Freizeit. Work-Life-Balance ist auch in unserem Job wichtig. Und nur, weil es bisher auf eine bestimmte Weise gemacht wurde, bedeutet es nicht, dass es die nächsten 100 Jahre so bleiben muss“, findet sie. Trotz ihrer Visionen und ihres Ehrgeizes packt die 27-Jährige dennoch manchmal das Heimweh. Vielleicht wird sie sich in zehn oder 15 Jahren ja doch den Traum einer eigenen Lodge in Namibia erfüllen. Und vielleicht serviert sie dann ihren Gästen auch Erdbeerkuchen.