Jens Philipsenburg im Interview "Die Branche braucht mehr Mut, Dinge anzupacken"

Jens Philipsenburg
Jens Philipsenburg ist Geschäftsführer der DQuadrat Living GmbH. © DQuadrat Living GmbH

Mit Das Schlafwerk hat die DQuadrat Living GmbH ihr erstes voll digitalisiertes Hotel eröffnet. Jens Philipsenburg, Geschäftsführer der DQuadrat Living GmbH erklärt im Interview, wie das Unternehmen das Projekt umgesetzt hat, wie die Guest Journey des Hauses aussieht und warum Hotels, die nicht digitalisieren, eher früher als später Probleme bekommen werden.

Herr Philipsenburg, das Schlafwerk ist eines der ersten voll digitalisierten Hotels in Deutschland. Welche Idee steckt dahinter? 

Jens Philipsenburg: Wir haben den Gesamtmarkt intensiv analysiert und eine strategische Lücke gefunden. Für Long-stay gab es kein standardisiertes Markenprodukt unterhalb von drei Sternen. Gleichzeitig besteht aber eine hohe Nachfrage im unteren Preissegment. Daraus resultierte der Beschluss, dieses Segment mit Das Schlafwerk zu besetzen.

Man ist entweder Qualitäts- oder Preisführer. Wir haben uns für die Preisführerschaft entschieden. Um die Preise dauerhaft halten zu können, war eine Voraussetzung, Prozesse zu verschlanken. Und das geht nur über Digitalisierung.

Über welche Preis-Range sprechen wir? 

Unser Werbeslogan lautet "Übernachten ab 19 Euro". Unser Ziel ist klar die Preisführerschaft auf dem jeweiligen lokalen Markt bei gegebener Qualität. Günstiger geht es nur noch, wenn Qualitätsstandards eines Hotels nicht mehr eingehalten werden, wie beispielsweise mit Stockbetten oder im Container. Hier positionieren wir uns klar oberhalb.

Auf welche Zielgruppe zielen Sie mit dem Schlafwerk ab? 

Unsere Zielgruppen sind in erster Linie Handwerker und Monteure, aber nicht nur. Im Grunde alle, die ein kostengünstiges Zuhause auf Zeit suchen, sei es für eine Nacht oder einen Monat, und keine zusätzlichen Services benötigen. Einfach gut übernachten ist folgerichtig unser Motto beim Schlafwerk.

Wir erreichen mit unserem Konzept ebenso Gruppen der öffentlichen Hand, Subunternehmer aus dem Dienstleistungsspektrum und die Logistikbranche. Wir haben aber auch schon Familien untergebracht, deren Wohnungen Wasserschäden hatten …

Sie haben die Digitalisierung angesprochen. Was verstehen Sie konkret darunter?

Im Grunde geht es darum, Abläufe zu automatisieren, ohne manuell eingreifen zu müssen. Das heißt, Buchung, Bezahlung, Check-in, Türöffnung etc. erfolgen inklusive Rückmeldungen an den Gast, ohne dass einer unserer Mitarbeiter etwas dafür tun muss.

So ist unsere Vision eines vollständig digitalen Hotels entstanden, wobei bei uns die Digitalisierung nicht bei der Guest Journey aufhört, sondern sich bei internen Abläufen fortsetzt, zum Beispiel beim Einkauf, papierlosen Büro, vor allem der Finanzbuchhaltung, bei der Gästebewertung oder der Auswertung von Kennzahlen.

Und welche Vorteile versprechen Sie Ihren Gästen damit? 

Wir können dadurch dauerhaft niedrige Preise anbieten mit einer angenehmen Atmosphäre und Ausstattung. Unser Hotel ist 24 Stunden erreichbar, selbst wenn die Rezeption im Hotel nur limitiert geöffnet hat. Und wir reduzieren physische Kontakte – was heute natürlich ganz wichtig ist und sicher künftig so bleiben wird.

Zusätzlich sparen unsere Gäste viel Zeit, weil alle Hotel-Services über das Smartphone jederzeit verfügbar und buchbar und weil der Check-in und die Türöffnung einfach mit wenigen Klicks durchzuführen sind.

Wie sind Sie das Projekt angegangen? 

Wir haben zunächst drei ganz wesentliche Trends aufgegriffen, die mit der Hotellerie allerdings nur bedingt zusammenhängen. Einerseits diente uns die Abwicklung bei Fluggesellschaften als Vorbild. Kein Mensch druckt sich heute noch sein Flugticket aus. Sie buchen online, erhalten ihr E-Ticket entweder per E-Mail oder laden es sich in ihr Wallet und checken online ein. Wir sind der Meinung, das kann in der Hotellerie ebenfalls funktionieren.

Andererseits sehen wir zum Beispiel Internet-Bezahldienste, die komplexe Abläufe im Hintergrund für den Kunden ganz einfach machen. Nutzer sind heute weniger bereit, viel Zeit in Standardaufgaben zu investieren und Brüche hinzunehmen. Die Abläufe müssen von A bis Z harmonisch sein.

Hier spielt auch der dritte Trend hinein. Es ist offensichtlich, dass die Entwicklung weg von installierten Apps hin zu Progressive Web Apps (PWA) geht. Diese bieten die gleichen Funktionen, nur eben ohne sie erst herunterladen zu müssen. Das trifft einen wunden Punkt bei der Digitalisierung von Hotels. Denn Gäste sind üblicherweise nicht erpicht darauf, für jeden Aufenthalt im nächsten Hotel eine neue App herunterzuladen und das übliche Prozedere der Kontoeinrichtung, Verifizierung und Anmeldung über sich ergehen zu lassen.

Dann hieß es, diese allgemeinen Vorgaben in spezifische Anforderungen zu übersetzen…? 

Genau. Und das hat viel Zeit eingenommen, um nachher im Betrieb keine Überraschungen zu erleben. Im ersten Schritt haben wir festgelegt, welche Aufgaben und Abläufe wir gemäß den erwähnten Punkten digitalisieren müssen. Das schloss die Buchung und das Bezahlen ein, ferner die Buchungsverwaltung und das Hinterlegen der Rechnungsadresse, das Ausfüllen des Meldescheins, den Check-in und die Türöffnung. All das sollten unsere Gäste selbstständig und jederzeit online erledigen können.

Der nächste Schritt bestand darin, konkrete funktionale und technische Anforderungen zu formulieren. Ein Aspekt war die Definition von grundlegenden Pfeilern, die unverrückbar waren. Dazu gehörte unter anderem: kein App-Download, die Bezahlung vor dem Check-in und keine Code-Eingabe für die Türöffnung.

Anschließend haben wir eine Reihe von Buchungssituationen entworfen, die beispielsweise unterschiedliche Zeitpunkte und Orte der Buchung berücksichtigen. Hierbei ging es uns vor allem darum, die gleiche Journey zu bieten, egal ob der Gast drei Monate vor dem Aufenthalt bucht oder als Walk-in ins Hotel kommt, und die entsprechenden Berührungspunkte zwischen Gast und Hotel und damit zu den jeweiligen Systemen abzubilden. Wir wollten die Gäste durch den gesamten Prozess begleiten, bis sie im Zimmer ankommen.

Wie sollte die technische Umsetzung aussehen? 

Um uns darüber ein Bild machen zu können, haben wir ausgiebig recherchiert sowie Messen und Branchenevents besucht. Dabei hat sich nicht nur eine Systemarchitektur aus PMS, digitalen Hotel-Services und Hotelschließsystem herausgeschält, sondern wir haben obendrein eine Menge Anbieter aus diesen Segmenten „mitgenommen“.

Beim Schlafwerk stand von Anfang an eine durchgängige Digitalisierung im Vordergrund. Wie sehen Ihre Pläne mit Ihren anderen beiden Marken Harbr Hotel & Boardinghouse und Beat Student Homes aus? 

Der Wunsch ist da, auch bei unseren anderen Marken mehr zu digitalisieren. Allerdings sind die Rahmenbedingungen andere, da wir bereits Bestandssysteme einsetzen. Das war der große Vorteil beim Schlafwerk, wo wir praktisch auf der grünen Wiese begonnen haben und keine Rücksicht auf eine existierende Infrastruktur nehmen mussten. Dennoch werden wir natürlich für die beiden anderen Marken analysieren, inwieweit wir da die Guest Journey digitalisieren können.

Glauben Sie, dass Hotelunternehmen, die zögerlich mit der Digitalisierung umgehen, mittelfristig Nachteile befürchten müssen? 

Ja, und nicht erst mittelfristig! Wir haben in der Hotellerie jahrelang den Fehler gemacht, die Beschäftigten zu niedrig zu bezahlen. Daraus folgt jetzt ein Fachkräftemangel. Dem lässt sich kurzfristig nur mittels Digitalisierung begegnen, indem man manuelle Arbeit durch Technologie ersetzt. Mittelfristig müssen wir als Branche aber auch am gesamten Lohnniveau arbeiten – das geht nur zusammen!

Ergibt es aus Ihrer Sicht einen Sinn, Hotels „teilweise“ zu digitalisieren? 

Selbstverständlich. Es geht häufig ja nicht anders, weil Hotels selten von Grund auf neu entstehen. Prinzipiell bin ich der Meinung, dass man digitalisieren kann und sollte, wenn es Prozesse vereinfacht. Und je mehr Daten ich verarbeite, desto sinnvoller ist eine Standardisierung. Einmal jährliche Bestellungen gehören aus meiner Sicht nicht unbedingt dazu – regelmäßige Auswertungen aber beispielsweise schon. Zudem lässt sich die Kommunikation mit den Gästen bei Fragen zu gängigen Abläufen digitalisieren. So kann man schneller antworten und die Fragenden fühlen sich gut betreut – ohne dass man lange E-Mails eintippen muss.

Welchen Rat würden Sie Hoteliers mitgeben, die zwar den Bedarf des technischen Wandels erkennen, aber die Umsetzung scheuen? 

Sehen Sie sich um, wie es die Kollegen machen! Der Austausch mit anderen Hoteliers ist immer eine ergiebige Quelle für Informationen und Anregungen. Und ich glaube, die Branche braucht mehr Mut, Dinge anzupacken. „Was kann ich gewinnen“ sollte die Maxime sein. Dazu sollte man sich auf Prozesse konzentrieren, was auch in einer radikalen Entscheidung für eine neue Systemlandschaft münden kann.

Uns stehen aufgrund der aktuellen Situation drei bis vier margendünne Jahre bevor – da muss man sich zwangsläufig sämtliche Abläufe ansehen und versuchen, diese zu optimieren. Vor diesem Hintergrund sollte man sich überlegen, wie man mit einer etwas höheren Anfangsinvestition im Nachgang dauerhaft Prozesskosten sparen kann. Das war einer unserer Ausgangsgedanken beim Projekt Schlafwerk.

Wie kommt man als Hotelier am schnellsten in die Umsetzung? 

Überhastete Geschwindigkeit finde ich schwierig. Die komplexe Verzahnung von IT, Hardware, Software, Prozessorganisation und Mitarbeiterschulung bedarf ihre Zeit. Eine Beschleunigung ist durch (teuren) Einsatz von Beratern oder Coaches denkbar. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter bei der Digitalisierungsstrategie mitgenommen werden, diese müssen sie schließlich umsetzen. Aber auch die Lieferanten bieten eine prima Unterstützung, gerade aktuell auch per Online-Meeting und Support.

Entwickeln Sie Prozess- und Ablauf-Schemata für Ihr Haus und sprechen Sie Ihre potentiellen Partner gezielt auf die Lösungen innerhalb der einzelnen Prozessschritte an. Aktuell sind auch die Fördermöglichkeiten von Digitalisierungsprojekten durch Bund, Coronaförderung und Länder, gerade für kleinere Betriebe, durchaus interessant.