Interview mit Corinna Kretschmar-Joehnk zu Farbkonzepten „Die Balance macht’s!“

Corinna Kretschmar-Joehnk ist Geschäftsführerin des Interior-Design-Studios Joi-Design. Mit dem Farbexperten Professor Axel Venn hat sie 2013 das Buch „Farben in Hotels“ verfasst. © Jenner-Egberts Foto+Film

Beim Gestalten von Hotels ist die Farbgebung ein wichtiger Faktor. Mit ihr können Emotionen ausgelöst und Statements gesetzt werden. Corinna Kretschmar-Joehnk, Innenarchitektin und Farbexpertin bei Joi-Design, rät im Interview dazu, die Farbsetzung im Vorfeld genau zu analysieren.
Hotel+Technik: Frau Kretschmar-Joehnk, welche Macht haben Farben in der Gestaltung?
Corinna Kretschmar-Joehnk: Es ist erstaunlich, wie groß der Einfluss von Farben auf das Gemüt und die Stimmung ist, wenn man einen Innenraum betritt. Da läuft viel im Unterbewusstsein ab, und wir fühlen uns von einem Raum angezogen, oder genau das Gegenteil passiert. Mein Mann Peter Joehnk, mit dem ich das Innenarchitekturbüro Joi-Design gemeinsam führe, und ich saßen mal in einer hauptsächlich in Schwarz gestalteten Hotellobby in Mailand und warteten auf einen Geschäftspartner. Als unser Kontakt kam, waren wir tatsächlich schon richtig mürbe geworden, weil die dunklen Farbtöne ohne Tageslicht auf unser Gemüt gedrückt hatten.
Ein anderes Beispiel: In Madrid wurden nach ersten Gästebeschwerden ehemalige, in Schwarz gehaltene Gästezimmer kurz nach der Eröffnung bereits in weiße Zimmer umgebaut. Es gibt aber auch andere Farben, die nicht positiv auf uns wirken beziehungsweise bestimmte Gefühle auslösen, die vielleicht nicht gewünscht sind. Rottöne können Wärme ausstrahlen aber in bestimmten Konstellationen auch aggressiv machen, andere Farben beruhigen wiederum.
Welche Farben sind besonders positiv?
Warme Töne sind grundsätzlich angenehmer als kalte Farbnuancen. Man kann das aber nicht wirklich pauschalisieren, denn es kommt immer auf die Nutzung des Innenraums an – und auf die klimatischen Verhältnisse und den Ort. Ein Hotelzimmer in Spanien entwerfen wir ganz anders als eines in Hamburg oder gar in Stockholm, wo sich noch dazu die Lichtverhältnisse über das Jahr verändern. Farbe kann wunderbar Lokalkolorit transportieren und ein Projekt optimal verorten.

„Die Public Areas können und sollten in den meisten Fällen grundsätzlich lauter und repräsentativer auftreten.“

Im F&B-Bereich im Hotel gilt es, appetit-anregende Farben in den Fokus zu nehmen: Dies sind warme Nuancen, gemixt mit Naturtönen oder auch Grün, weil das das gesunde Essen auf dem Teller optisch umrahmt und korrespondiert. Steht viel Fisch auf der Karte, kann sich auch Blau eignen. Und ein Frühstücks-Restaurant sollte wieder anders gestaltet werden als ein Fine-Dining-Bereich für den Abend. Findet beides im selben Raum statt, so gilt es, viel über die Beleuchtung zu regeln. Und hier ist mein Tipp: die Farben, die man in Szene setzen möchte für die Atmosphäre, bei der ­Bemusterung auch mit künstlicher Beleuchtung auszuprobieren und mal anzustrahlen. Denn dadurch wird das Bild oft verfälscht.
Im Spa arbeiten wir mit beruhigenden Farbpaletten, gern auch mit Blau-Türkistönen kombiniert, die die Assoziation zu Wasser und gleichzeitig Hygiene zulassen. Korrespondierende Crème-Töne oder auch Erdtöne verbinden und bringen die nötige Wärme mit ein, denn hier halten sich Gäste leicht bekleidet oder nur im Bademantel auf. Der Fitnessbereich sollte hingegen wieder anregender sein in der Farbwahl.
Ich könnte noch viele weitere Bereiche durchspielen, einen Unterschied will ich aber noch zwischen dem öffentlichen Bereich und den Hotelzimmern machen. Die Public Areas können und sollten in den meisten Fällen grundsätzlich lauter und repräsentativer auftreten – wohingegen die Gästezimmer beruhigender wirken sollten, weil die Gäste hier abends runterkommen und Entspannung suchen.
Was sind die aktuellen Farbtrends?
Den einen aktuellen Trend gibt es nicht! Es ist vielmehr sehr viel erlaubt. Man kann grundsätzlich erstmal unterscheiden in luxuriösere Gestaltungen und Lifestyle-Produkte im Budget- oder Economy-Bereich: Je feiner das Ambiente und die angestrebte Atmosphäre, die dieses auch ausstrahlt, desto abgetönter die Farben.
Gedämpfte Farbtöne visualisieren eine gedeckte, leise, sanfte Stimmung. Jüngere, lautere, extremere Konzepte bringen ihre Haltung auch gern „lauter“ und schreiender in den Farben zum Ausdruck. Bei den neuen New-Work-Konzepten für den Office-Bereich arbeiten wir auch mit knackigeren Farben, die zeigen: „Wir sind anders, wir sind offen, inspirierend und nicht konservativ“. Genauso kann man da auch bei Hotelkonzepten unterscheiden – die „Jungen Wilden“ treten also auch gern mal schriller in der Farbwahl auf.
Es gibt allerdings Farben, mit denen man vorsichtig sein sollte. Ein knalliges Magenta ist unangenehm in der Wahrnehmung und das Gegenteil von inspirierend oder anregend. Abgedämpfte Pink-, Rosa- oder Altrosa-Töne sind viel wohltuender.
Das Gleiche gilt für Neonfarben im Allgemeinen – allerdings dazu gemischt, zum Beispiel ein einzelnes Stuhlbein an einem sonst in Naturtönen gehaltenen Stuhl kann sehr erfrischend sein. Wir lieben bei der Gestaltung diese Entdeckungen auf den zweiten Blick, die der Nutzer nicht erwartet, aber im Herzen mitnimmt, wenn er sie erst im zweiten oder dritten Anlauf selbst entdeckt hat.
Farben unterliegen meist Trends, gibt es aber auch Evergreens?
Die Betonung liegt auf „Green“. Durch das vergangene Jahr hat sich diese Sehnsucht noch weiter manifestiert – aber auch schon in den Jahren davor waren starke Strömungen hin zu mehr Natürlichkeit in den Innenräumen zu spüren.

Ein echter „Evergreen“: Im Hyatt Place Frankfurt fungieren Moos und unterschiedliche Grün-Nuancen als moderne Interpretation des Themas Park. © Simone Ahlers for Joi-Design

Wir leben in einer Welt, die von einer zunehmenden Digitalisierung geprägt ist, und sehnen uns im Gegenzug, wenn wir uns zurücklehnen, wenn wir entspannen, nach Hause kommen oder eben in ein temporäres Zuhause wie ein Hotel, nach Farben aus dem Naturkontext. Also in Naturtönen, Erdtönen, Braun-Grau-Beige-Greige-Tönen – und dann noch in Verbindung mit „ehrlichen“ Materialien wie Filz, Kork, Holz, Wolle – da stellt sich gleich ein natürlicher Wohlfühlfaktor ein.
Aber Vorsicht: Es sollte auch nicht alles in einer Farb-Soße ohne Gesicht und Charakter untergehen, denn dann werden Orte zu schnell austauschbar. Der individuelle Touch kommt mit der Story, mit dem jedes Mal wieder eigens für das spezielle Projekt entwickelten Narrativ – und dadurch kommt automatisch immer wieder ein ganz eigener „Farbklecks“ herein!
Wie sieht ein durchdachtes Farbkonzept im Hotel aus?
Ein durchdachtes Farbkonzept geht individuell auf den Ort, auf die Marke, auf die Philosophie, auf die Grundprinzipien des Hauses und möglichst auch auf die Wünsche und Erwartungen zukünftiger Gäste ein. Hierzu braucht es eine gute Analyse zu Beginn und eine enge vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Betreiber und Designer: Dann kann ein gutes langlebiges und ganz individuelles Produkt entstehen.
Was sollten Hoteliers hinsichtlich der CI in der Farbgestaltung der Hotels beachten?
Nicht jede CI-Farbe ist für die unmittelbare Übersetzung auch im Interior geeignet. Die Innenarchitektur und die Farbwelt sollten das richtige Gefühl transportieren – das ist viel wichtiger als ständige Zitate von Farben aus der Corporate Identity, die die Stimmung nämlich auch schnell „killen“ können. Manchmal arbeiten wir gar nicht mit CI-Farben, manchmal wandeln wir sie ab oder agieren besonders pointiert. Das muss auch genau analysiert und von Fall zu Fall entschieden werden.

„Wände sind prädestiniert dafür, den ersten Eindruck in die richtige Richtung zu lenken. Farbe kann aber auch mal überraschend an der Decke einen Akzent setzen.“
Corinna Kretschmar-Joehnk, Joi-Design

Was sollten die maßgeblichen Farbgeber im Hotel sein?
Der erste Eindruck in der Raumwahrnehmung passiert auf Sichthöhe, und die liegt im Durchschnitt bei circa 1,60 Metern mit einem gewissen Bereich darüber und darunter.
Wände sind also prädestiniert dafür, den ersten Eindruck in die richtige Richtung zu lenken. Farbe kann aber auch mal überraschend an der Decke einen Akzent setzen. Die richtige Balance macht’s: Ist die Basis zurückhaltend, so können einzelne Details herausstechen – kommt man rein, und eine Wand setzt sich gleich gekonnt in Szene, so sollte nicht auch noch jedes Accessoire eine Hauptrolle spielen.
Was hat Sie dazu bewogen, sich mit dem Thema Farben so intensiv zu beschäftigen?
Mit dem Farbexperten Axel Venn aus Berlin verbindet meinen Mann und mich eine lange Geschichte. Wir sind ihm früher häufig zu seinen Vorträgen hinterher gereist und kamen stets inspiriert zurück. Irgendwann kam dann die Idee eines gemeinsamen Buchs, wo wir als Innenarchitekten unsere langjährige Expertise im Hotelbereich mit einbringen konnten.
Die Entstehung des Buchs „Farben der Hotels“ war eine tatsächlich sehr spannende Reise in die Psychologie der Farben für mich. Wir sind analytisch vorgegangen, haben viele Probanden befragt, dann alles ausgewertet und schließlich unsere Auswertung bebildert.
Ich persönlich finde den bewussten Umgang mit Farben für den Innenraum sehr wichtig, denn wir sind als Innenarchitekten viel näher am Menschen und am Nutzer dran, der sich in den von uns gestalteten Räumen wohlfühlen muss, hier schlafen oder duschen, essen und trinken, einer Konferenz lauschen oder beim Co-Working inspiriert arbeiten sollte. Wir decken im Hotel die unterschiedlichsten Lebensbereiche ab – von den ganz privaten vier Wänden im Hotelzimmer bis hin zu Großveranstaltungen im Ballsaal.
Interview: Mareike Knewitz