Das Hamburger Hotel Heimhude der Design-Plattform Stilwerk ist kein bewohnbarer Showroom, sondern ein lässiges Boutique-Hotel, in dem sich die Gäste mehr als anderswo mit dem Interior befassen.
Vermutlich hat sich jeder schon mal gefragt wie es wäre, eine Nacht in einem Möbelhaus zu verbringen. Dann könnte man an einem der festlich gedeckten Tische Platz nehmen, um ein zuvor in einer Musterküche zubereitetes Mahl zu genießen, und dann endlich in jenem Bett schlafen, auf das man immer schon ein Auge geworfen hatte.
Was sich viele Menschen in dieser Form vorstellen könnten, war zwar keineswegs Vorbild für das neue Stilwerk-Hotel Heimhude, doch so weit liegen die Vorstellungen dann auch wieder nicht auseinander. Im Kern geht es in beiden Fällen um etwas, das im Alltag kaum irgendwo möglich ist: Produkte ausgiebig am besten zu Hause auszuprobieren, bevor man sie kauft.
Diese Probe aufs Exempel mag bei einem Sofakissen oder einer Kaffeetasse nicht zwingend erforderlich sein, doch wer kauft sich gern ein Bett für 10.000 Euro, ohne je darin geschlafen zu haben? Viele Möbelhändler würden es möglich machen, sich ein Designsofa übers Wochenende auszuleihen. Doch Hand aufs Herz – wer tut sich das tatsächlich an?
Design direkt erlebbar machen
Stilwerk-Geschäftsführerin Tatjana Groß und Inhaber Alexander Garbe haben schon vor Jahren beobachtet, dass Designmöbelhersteller anlässlich der Mailänder Möbelmesse Salone del Mobile ganze Palazzi anmieten, um ihre Produkte nicht in sterilen Messehallen, sondern in einer authentischen wohnlichen Umgebung präsentieren zu können. Die dabei entstandenen Wohnwelten waren letztlich aber auch nur eine schöne Kulisse, denn wirklich neue Eindrücke ließen sich dort nicht sammeln.
Zur gleichen Zeit begegneten den beiden Stilwerkern in ihrem Designcenter in Hamburg – dem ersten seiner Art – immer mehr Kunden mit dem Wunsch, die in den Stores präsentierten Interior-Marken zu testen. Also begannen die beiden zu überlegen, wie sie ihre Plattform im Sinne der Hersteller und deren Kunden erweitern und damit attraktiver machen könnten. Vom ersten Ansatz, in der Nähe der Stores ein Apartment zum Probewohnen einzurichten, war es schließlich nicht mehr weit zur Idee, Design und Hospitality in einem Hotel zu verschmelzen.
Grande Dame in Sneakern
„Im Jahr 2018 stießen wir im Stadtviertel Pöseldorf auf ein geeignetes Objekt: das Hotel Heimhude mit 24 Zimmern in einer 150 Jahre alten weißen Stadtvilla. Nach der Übernahme führten wir das in die Jahre gekommene Haus zunächst für eineinhalb Jahre unverändert weiter, um erste Erfahrungen im Hotelbetrieb zu sammeln“, sagt Tatjana Groß.
„Danach entstand mithilfe unserer eigenen Planer ein Entwurfskonzept, das schließlich in eine umfassende Kernsanierung und liebevolle Restaurierung der Innenräume mündete, während die Fassaden unangetastet blieben.“ Heute präsentiert sich das Hotel als Grande Dame in Sneakern – als harmonisches, wohnliches und dezidiert zeitgenössisches Haus, in dem alle Materialien und Oberflächen fein aufeinander und auf den nobel-eleganten Charakter der Stadtvilla abgestimmt sind.
Anders als in den meisten Hotels gelangen die Gäste nach Passieren des Windfangs nicht in eine Lobby, sondern direkt ins Herz des Hauses: eine große Wohnküche, die als zentraler kommunikativer Ort der Gemeinschaft dient. Hier treffen sich die Gäste, um ein Frühstück, Mittag- oder Abendessen einzunehmen, um Kaffee zu trinken oder in den kleinen rückwärtigen Garten zu gehen.
Hier und in den benachbarten Wohnräumen (Lounge, Bibliothek und Meetingraum) können aber auch kleinere Veranstaltungen stattfinden. Heimhude hat den Look eines ganz normalen anspruchsvollen Hotels. Einziger wesentlicher Unterschied ist jedoch, dass die Gäste sich hier genauestens darüber informieren können, von welchen Produkten sie umgeben sind.
Kuratierte Wohnwelt
Egal, wo sich die Gäste befinden: Nahezu alle eingesetzten Produkte stammen von den Händlern und Partnerfirmen, die auch in den Stores der Designcenter vertreten sind – ganz gleich, ob es dabei um Badarmaturen, Lampen, Tapeten, Lichtschalter oder Betten geht. Den Gästen eröffnet das Hotel Heimhude eine kuratierte Welt des Wohnens, in der sich unzählige Produkte ungestört und aus nächster Nähe im Wortsinn begreifen lassen.
Konkrete Informationen erhalten sie dabei auf unterschiedliche Weise. Zunächst können sie das speziell geschulte Hotelpersonal ansprechen, das erste Informationen geben oder den Kontakt zu den Anbietern herstellen kann – direkt kaufen lässt sich hier allerdings nichts. Alternativ kommen Mitarbeiter des Hamburger Designcenters zur persönlichen Beratung ins Hotel.
Darüber hinaus liegt in jedem Zimmer ein Brand-Book bereit, das detailliert in Wort und Bild Auskunft über alle eingesetzten Produkte gibt. Und schließlich haben die Gäste die Möglichkeit, eine App zu installieren, mit der sie auch einchecken und eine digitale Version des Brand-Books studieren können.
„Die Auswahl der im Hotel eingesetzten Produkte erfolgte rein nach gestalterischen Gesichtspunkten – wichtig waren dabei vor allem eine durchgängige Farbgebung und ein einheitliches Look-and feel, das durch die Möbel unterstützt wird“, berichtet Tatjana Groß und betont: „Schließlich sollen sich unsere Gäste ja nicht wie in einer Verkaufsausstellung, sondern wie zu Hause fühlen. Aktiv auf die Hersteller zugegangen sind wir erst nach Abschluss unserer Planungen.“
Und so gibt es keine Räume, in denen eine bestimmte Marke vorherrschend ist. Die Hersteller hatten außerdem weder Einfluss darauf, wie und mit welchen Produkten sie vertreten sind, noch verschenkten sie Möbel an das Hotel. Sie können Heimhude aber komplett mieten, um beispielsweise geladenen Gästen in den Zimmern ein Wochenende lang ihre Produkte nahezubringen.
Wertvolles Feedback der Gäste
Die Zimmer verfügen zwar zum Teil über die gleichen Produkte, sind jedoch allein schon deshalb insgesamt unterschiedlich ausgestattet, weil der Altbaugrundriss sehr unregelmäßig ist. Die Vielfalt wächst aber auch durch den in unregelmäßigen Abständen erfolgenden Austausch von Teilen des Interiors – dass die Badfliesen und Tapeten dabei länger Bestand haben als etwa eine Vase oder ein Teppich, versteht sich von selbst.
Gerade die Vielfalt wirkt auf zahlreiche Gäste faszinierend. „Manche kommen regelmäßig zu uns und schlafen jedes Mal in einem anderen Zimmer, um möglichst viele Eindrücke zu sammeln. Andere wollen nur eben mal ausgiebig einen Stuhl bei Kaffee und Kuchen ausprobieren. Es gibt aber auch Händler, die ihre Kunden gezielt zu uns schicken“, führt Tatjana Groß aus.
Positiv kommt das Stilwerk-Konzept auch bei Gästen an, die es vorher nicht kannten. Sie sind auch ohne Kaufabsichten begeistert von der Möglichkeit, sich ausführlich über die Produkte in ihrem Zimmer informieren zu können. „Generell lässt sich sagen, dass die Gäste hier viel mehr Feedback geben als in einem ‚normalen‘ Hotel, weil unsere Mitarbeiter in Bezug auf die Ausstattung überdurchschnittlich kompetent sind. Gespräche über positive und negative Erfahrungen, von denen wir als Gastgeber sehr profitieren, verlaufen daher selten einfach im Sand“, fährt die Geschäftsführerin fort.
Nicht zuletzt aufgrund des Erfolgs im Hotel Heimhude tritt Stilwerk demnächst auch in anderen Häusern als Gastgeber auf. Voraussichtlich Anfang des kommenden Jahres wird das bereits übernommene Strandhotel Blankenese in Hamburg zum Stilwerk-Hotel – mit einem eigens auf das alte Bestandsgebäude am Elbestrand zugeschnittenen Einrichtungskonzept. Doch damit nicht genug: In den Harburger Bergen bei Hamburg soll ein Hotelneubau unter anderem mit Longstay-Apartments entstehen. Weitere Projekte sind zudem in Travemünde und Rotterdam geplant.
Autor: Roland Pawlitschko