Ein mutiger Architektenentwurf, ein Statikbüro, das sich an heikle Fälle wagt, und ein beherztes Hotelierspaar machten einen phänomenalen Anbau des Viersternehauses Belvedere hoch über Bozen möglich.
Das Hotel Belvedere im Südtiroler Ort Jenesien macht seinem Namen alle Ehre. Vom auf 1.080 Meter gelegenen Haus eröffnet sich den Gästen ein traumhafter Ausblick: im Osten auf die Dolomiten mit den markanten Spitzen von Latemar und Rosengarten, im Westen auf das Mendelgebirge und zu Füßen breitet sich das malerische Etschtal mit der Stadt Bozen aus.
Das Hotel Belvedere besteht seit den 1960er-Jahren. Zwei Gebäude aus dieser Zeit erinnern immer noch an die Anfänge. Durch umfangreiche Baumaßnahmen, die vor drei Jahren begannen, wurde das 50-Zimmer-Haus mittlerweile zum Viersterne-Superior-Hotel aufgewertet. Es bekam ein großzügiges Spa mit lichten Treatmenträumen, Saunen und Ruheoasen auf mehreren Ebenen sowie eine zusätzliche Panoramasauna und einen spektakulären Infinitypool, der das Gefühl vermittelt, direkt auf die Berggipfel zu schwimmen.
Beflügelt von positiver Resonanz
Um den grandiosen Blick dreht sich auch alles in den zehn gerade fertiggestellten „Amira-Suiten“, Abschnitt zwei des mehrstufigen Umbauprojektes. Da die Resonanz auf den ersten Teil so positiv war, wurde bereits zwei Jahre früher als ursprünglich geplant mit der nächsten Maßnahme begonnen. Während der kommenden fünf Jahre sollen dann in einer letzten Bauphase die beiden Bestandsgebäude aus den 1960er-Jahren renoviert werden.
Die Bauherren Renate und Hans Leonhardy wollten ein Konzept, das über 15, 20 Jahre trägt und mit dem der bestehende Bau in „eine zeitgemäßere Architektur und das entsprechende Design überführt“ werden sollte – so lautete auch das Briefing für den Wettbewerb, zu dem drei Architekturbüros eingeladen waren. Denn oft sei es doch so in der kleinen Hotellerie, meint Hans Leonhardy, dass am Ende des Jahres der Steuerberater rät, man habe zu viel Gewinn und sollte deswegen überlegen, zu investieren. Dann werde „wild drauflosgebaut“, das Resultat seien die unterschiedlichsten Stilrichtungen. „Das wollten wir definitiv nicht.“
Den Zuschlag für das Projekt erhielt schließlich das Architekturbüro Bergmeisterwolf mit Sitz in Brixen und Rosenheim, das eine mutige Idee unterbreitete: Während die beiden anderen Entwürfe ein drittes Gebäude vorsahen, planten die Architekten, in den Hang aus extrem hartem Porphyrfelsen zu bauen. Bergmeisterwolf wurde 2006 von Michaela Wolf und Gerd Bergmeister gegründet. Michaela Wolf ist seit 2017 auch Professorin für Entwurf und Raum an der Technischen Hochschule Rosenheim. Die beiden Südtiroler reisen für ihre Arbeit quer durch Europa und erforschen, wie früher gebaut wurde und wie sie selbst die älteren Bautraditionen mit neuen Materialien verbinden können. Denn ihre bereits mehrfach ausgezeichneten Bauten sollen Bestand haben und auf subtile Weise mit ihrer Umgebung korrespondieren.
Heikle Herausforderung für Statiker und Sprengmeister
So auch der Neubau in Jenesien: Sanft gerundet ziehen sich die in den Felsen platzierten Ebenen terrassenförmig versetzt den Hang hinauf und verschmelzen optisch nahezu mit der umgebenden Landschaft. Um die in den Berg gebauten Einheiten zu realisieren, mussten rund 9.000 Kubikmeter Fels gesprengt werden. Die Architekten konnten dafür das Statikbüro Holzner & Bertagnolli Engineering aus dem nahegelegenen Lana gewinnen. „Weil Holzner Sachen baut, an die sich sonst kaum einer ranwagt“, bestätigt Hans
Leonhardy. Oswald Holzner fand den Entwurf spannend. „Das lässt sich berechnen“, war sein Kommentar. Es wurde ein geologisches Gutachten erstellt und mittels Ultraschall der Hang vermessen, sodass ziemlich genau klar war, um welche Gesteinsschichten es sich handelt: Kompressionsmaterial, das der Gletscher zurückgelassen hatte. Mittels Computermodell hat Holzner den gesamten Ablauf simuliert und die Kosten auf 5.000 Euro genau errechnet, was eine enorme Sicherheit bei der Kalkulation bedeutete.
Das gesamte herausgesprengte Material hat die Baufirma wiederverwendet: Direkt vor Ort wurden die Gesteinsbrocken in verschiedene Größen zerkleinert und teilweise sogar gemahlen. Schottermaterial und größere Steine wurden zur Wiederauffüllung des Geländes verwendet, der pulverisierte Porphyr dem Beton beigemengt, aus dem die unterschiedlichen Ebenen gegossen wurden. Durch das charakteristische Rot des Porphyrs passen sich die neuen Fronten harmonisch an das umgebende Terrain an.
Alles aus einem Guss
Das Architekturbüro Bergmeisterwolf übernahm auch die Inneneinrichtung des neuen Gebäudes. Die zehn „Amira-Suiten“ ermöglichen eine traumhafte Aussicht durch die raumhoch verglasten Fensterfronten. Durch die Verwendung von wenigen, aber qualitativ hochwertigen Materialien setzt sich der reduzierte Stil auch im Inneren fort. Für die breiten Bodendielen, die Fenster und die Einbauten wurde Eichenholz verwendet. Die schweren, strukturierten Stoffe in warmen Farben stammen von einer lokalen Firma aus Brixen. Das Beleuchtungskonzept hat ebenfalls das Designbüro entworfen: Jede einzelne Lampe ist nach Entwürfen von Bergmeisterwolf gefertigt.
Alles aus einem Guss – das gilt auch für das Hotelkonzept insgesamt. Das Belvedere will ein Rückzugsort sein, wo man den Alltag hinter sich lässt. Das städtische Treiben in Bozen, der italienischsten Stadt Südtirols, könnte man in wenigen Minuten mit der nahen Seilbahn erreichen, „aber oft genügt es den Gästen zu wissen, dass sie die Option haben, ohne dann wirklich davon Gebrauch zu machen“, beobachtet der Hotelier. Die meisten gehen zum Wandern und Mountainbiken, vor allem aber in das Spa. Das Spa-Menü hat Hans Leonhardy selbst konzipiert – ohne Esoterik, zusammengestellt aus Behandlungen, die nachweislich wirksam und medizinisch sinnvoll sind. Denn Leonardy ist eigentlich Arzt, hatte im Zentrum Münchens eine Praxis mit Schwerpunkt Traditionelle Chinesische Medizin (TCM). Er kam einst als Consultant ins Belvedere – und ist der Liebe wegen geblieben.
Bärbel Holzberg