Geschäftsleiter des Hotel Blauer Reiter im Tophotel-Interview Marcus Fränkle über die Zeit vor, nach und während der Krise

Marcus Fränkle will nach der Krise einiges in seinem Betrieb verändern. © privat

Das Design-Hotel Der Blaue Reiter gilt als Vorzeigebetrieb. Doch in der Krise trifft es auch sein Haus hart, wie Geschäftsleiter Marcus Fränkle im Tophotel-Interview erklärt. Was vor Corona seiner Ansicht nach schon schief lief, warum er jetzt den Azubis seinen Betrieb anvertraut, wie die Branche seiner Ansicht nach wieder auf die Beine kommen kann und was er sich für die Zeit nach der Krise ganz persönlich vorgenommen hat, lesen Sie hier.

Tophotel: Herr Fränkle, Ihr Hotel „Der Blaue Reiter“ ist nach wie vor geöffnet. Wie hoch ist die Auslastung und wie organisieren Sie den Betrieb?
Marcus Fränkle: Momentan haben wir noch eine Auslastung von etwa zehn Prozent – das ist nicht genug um wirtschaftlich zu arbeiten, aber es gibt zwei Faktoren, die für mich entscheidend sind, offen zu bleiben. Azubis sind vom Kurzarbeitergeld ausgenommen, also müsste ich ihnen sehr viele Minusstunden auf das Zeitkonto schreiben oder sie in den Urlaub schicken – zur jetzigen Zeit ist das sicher von keinem gewünscht. Also habe ich mich entschieden, mit den Azubis den Betrieb weiter laufen zu lassen und ein Projekt zu starten. Mit meiner Unterstützung arbeiten sie eigenverantwortlich in den verschiedenen Abteilungen und können so wertvolle Erfahrung sammeln.
Der zweite Punkt ist, dass ich mich in der Verantwortung sehe, einen Beitrag zu leisten, das Geschäftsleben in Deutschland am Leben zu halten. Wir ermöglichen die wichtigen geschäftlichen Reisen und sind in den sogenannten „Härtefällen“ für Privatreisende da. Unter anderem ist eine Familie bei uns eingebucht, die einen großen Wasserschaden im Haus hat, wo sollten solche Fälle sonst übernachten, wenn wir alle Hotels geschlossen haben? Das wir uns hier selbst jeden Tag einem gesundheitlichen Risiko aussetzen, wird meiner Meinung nach politisch, wie auch in der Öffentlichkeit, nicht genug gewürdigt.
Welche Erfahrung machen die Auszubildenden dabei? Und welche Schlüsse ziehen Sie als Betreiber daraus?
Ich habe die letzten Tage sehr viel dazulernen können, da ich nun wieder voll an der Basis bin. Unsere Azubis machen einen sehr guten Job, sind gewissenhaft und tragen in hohem Maße Verantwortung. Diese Arbeit an der Basis werde ich auch nach der Corona-Krise an bestimmten Tagen weiter führen, da ich neue Erkenntnisse über unsere jungen Mitarbeiter gewonnen habe, die mich wirklich beeindruckt haben.
Seit Eröffnung 2001 haben Sie das Haus laufend qualitativ erweitert: Wie hart trifft Sie die Krise angesichts der permanenten Investitionen?
Eigentlich sind wir einer der Vorzeigebetriebe, wie ihn sich die Gesellschaft und die Politik in den letzten Jahren gewünscht haben. Angefangen mit 39 Zimmern und einer Tagungskapazität von 70 Personen, haben wir in den letzten Jahren auf 88 Zimmer und möglichen 300 Personen in den Tagungsräumen expandiert und viel investiert. Unsere Steuern zahlen wir alle im Land, regelmäßig und transparent. Alle Hygiene- und Datenschutzvorschriften haben wir penibel eingehalten und auch hier investiert. Dazu haben wir fast alle Bereiche mit Baujahr 2001 frisch renoviert.
Im Zuge der Mehrwertsteuersenkung wurden die Löhne erhöht und unseren Mitarbeitern mit unserem – mittlerweile sehr bekannten – 7-Säulen-Programm ein Top-Arbeitsplätz geschaffen. Für die Gäste haben wir erst neulich die komplette Internetverkabelung neu verlegt, um ihnen Highspeed-Internet anbieten zu können, eine neue Bar, ein Wintergarten, eine Frühstücksterrasse und ein neu gestalteter Veranstaltungsbereich tragen zu noch mehr Komfort bei. Man kann sagen, dass wir einen kleinen Teil zum Wirtschaftswachstum beigetragen haben, den Gästen eine wirklich tolle Bleibe bieten und alles auf das Wohl der Gäste, aber auch unserer Mitarbeiter ausgerichtet haben. Nun müssen wir uns aber eingestehen, dass wir der – trotz, oder vor allem wegen dieser Maßnahmen – große Verlierer in dieser Krise sind. Der momentane Stand der Hilfen lässt uns auch nicht positiv in die Zukunft blicken.
Blick nach vorn: Welche wirtschaftlichen Konsequenzen ziehen Sie aus der Krise, um künftig besser aufgestellt zu sein?
Wie gesagt: der Blick nach vorne ist nicht gerade positiv. Wir haben Verbindlichkeiten zu tilgen, und keiner kann genau vorhersehen wie sich alles weiter entwickeln wird. Die Sorge darüber, dass man mit seinem Privatvermögen haftet, kann man nicht in Worte fassen und sie bereitet mir viele schlaflose Nächte. Natürlich war es uns auch möglich, Rücklagen zu bilden, aber diese reichen bei weitem nicht aus, um die Fixkosten längerfristig zu decken, wenn wir keine Gäste haben. In unserem Fall sind das ohne Löhne etwa 150.000 Euro pro Monat – bei dieser Summe muss man kein großer Rechner sein um zu sehen, dass man diese hohen Kosten nicht viele Wochen ohne Gäste durchstehen kann.
Man muss auch bedenken, dass unsere Branche schon seit Februar die Vorläufer der Krise zu spüren bekommen hat, lange bevor andere Berufszweige davon betroffen waren. Was ich nicht verstehen kann, dass nun auch andere nach Hilfe schreien, die nur einen kleinen Umsatzeinbruch haben. Die Politik muss sich darüber im Klaren sein, dass wir schon lange weniger Umsatz haben und nun auf über 90 Prozent verzichten müssen.
Gibt es andere Dinge, die Sie heute erkennen und künftig verändern wollen?
Wir werden uns verschlanken müssen. Ich will dies aber nicht auf dem Rücken der Mitarbeiter tun, sondern versuchen, unsere Prozesse zu optimieren. Da das Projekt mit den Azubis so gut angelaufen ist, werden wir zur buchungsschwachen Weihnachtszeit die meisten festangestellten Mitarbeiter in den Urlaub schicken und den Azubis, sowie mir, das operative Regiment übergeben. Das hätten wir uns vor der Krise nicht getraut auszuprobieren.
Natürlich sind wir auch schon dabei, unsere Finanzpolitik in Sachen Rücklagen neu zu ordnen, führen Gespräche mit dem Steuerberater und der Bank. In Hotels wird in Zukunft noch mehr Wert auf Hygiene gelegt werden, aber in diesem Punkt mache ich mir bei uns weniger Sorgen, da wir schon seit jeher einen sehr hohen Standard diesbezüglich bei uns haben. Für mich persönlich habe ich erkannt, dass die Welt vor Corona viel zu schnell war und wir uns manchmal sicher selbst überholt haben. Galt vor Wochen noch die Devise „höher, schneller, weiter“ werde ich persönlich in Zukunft in allen Dingen mehr abwägen und mir mehr Zeit zum Nachdenken gönnen.

Wie kann die Hotellerie nach der Krise wieder auf die Beine kommen? Was sind aus Ihrer Sicht strategische 'Dos and Don'ts?
Wir alle werden uns jetzt die Zeit nehmen, jeden einzelnen Vertrag genauer zu prüfen. Mit unserem Stromanbieter zum Beispiel bin ich schon in Kontakt, um für die Zukunft einen guten Preis auszuhandeln. Viele Dinge kommen auf den Prüfstand und werden analysiert.
Was definitiv nicht passieren darf: dass wir unsere Raten senken. Ich habe das ungute Gefühl, dass sich einige wieder devot auf die Wünsche der Firmen einlassen und die Preise somit in den Keller gehen. Und das alles nur, um Umsatz zu machen, ohne auf den wirklichen Gewinn zu achten. Man merkt das alleine schon daran, dass viele aus Angst keine Stornierungsgebühren berechnet haben, in der Zeit, als dies noch möglich war. Ein falscher Ansatz, der mit der falschen Hoffnung verbunden ist, so Kunden halten zu können. Wir müssen in Zukunft Standards festlegen, die in anderen Branchen schon längst üblich sind. Ein zugegebenermaßen überspitzter Vergleich ist, dass ich ein bestelltes Auto ja auch  nicht zurück geben kann, wenn sich meine Pläne geändert haben. Bei Fluggesellschaften, der Bahn oder anderen Branchen gilt: was bestellt wurde, muss bezahlt werden. Wir alle müssen wieder lernen, verbindlicher zu werden. Wenn wir die „Stunde Null“ nicht nutzen, um uns neu aufzustellen, haben wir eine einmalige, wahrscheinlich nie wieder kehrende Chance verpasst, Dinge zu ändern, die wirklich nicht gut sind.
Das Gleiche gilt für die schon angesprochenen Stornierungsraten: noch bevor die Regierung überhaupt über Reisebeschränkungen gesprochen hat, sind uns die Stornierungen förmlich um die Ohren geflogen. Aufgrund der kurzfristigen Stornierungsbedingungen in der Branche konnten wir diese nicht berechnen und haben unnötig Umsatz verloren. Und das obwohl – wie schon gesagt – noch keine Beschränkungen vorlagen. Können wir als Geschäftsleiter, Manager, Direktoren auf unsere Stornierungs- und Preispolitik der letzten Jahre stolz sein? Ich glaube nicht! Eben dieses Geld fehlt nun an allen Ecken und Enden.
Die Gewerkschaft meckert über so viele Dinge – aber über die Stornierungsbedingungen haben sie sich kaum ausgelassen. Man muss sich aber im Klaren sein, dass eine stornierte 18-Uhr-Reservierung in der Regel verlorener Umsatz und somit auch verlorenes Potenzial für Lohnerhöhungen ist. Hier müsste man sich gemeinsam dafür einsetzten, dass die Gesellschaft bei Buchungen nicht immer alles so unverbindlich wie möglich haben kann. Genauso verhält es sich übrigens bei den Stornierungsbedingungen im Tagungsbereich.
Hat das Thema Stornierungsraten für Sie als Tagungshotel eine besondere Tragweite?
Wir müssen hier ehrlich zu uns selbst sein. Wir feiern uns gerne in der Branche, treffen uns regelmäßig zu Awards, Events und machen Meetings. Wir schaffen es aber nicht, einen gemeinsamen, einigermaßen einheitlichen Weg bezüglich besserer Stornierungsbedingungen zu finden. Eine Firma, die sechs oder im schlimmsten Fall vier Wochen vorher ihre Veranstaltung storniert, kann in den seltesten Fällen ersetzt werden. Auch die ständigen Änderungen der Bucher kosten Zeit und vor allem Geld.
Was ist die Folge dieser Sache? Es ist schwer, verbindliche Dienstpläne über mehr als zwei bis drei Wochen aufzuhängen, den Mitarbeitern fehlt somit Planungssicherheit und dies macht unsere schöne Arbeit weiter unattraktiv. Des Weiteren ist der Mitarbeiteraufwand extrem hoch, weil die vom Kunden aufgezwungene Flexibilität es erfordert. Wir tragen eine immense Verantwortung nicht nur uns, sondern auch unseren Mitarbeitern gegenüber und jeder, der in Zukunft nicht richtig mit den Stornierungsrechnungen wirtschaftet und weiter an falsch verstandenem Kundenservice festhält, handelt in meinen Augen fahrlässig.
Was sagen Sie zur aktuell geltenden Kurzarbeiter-Regelung?
Das Kurzarbeitergeld mit 60 Prozent ist für mich ein Zeichen dafür, wie wenig die Branche von der Politik verstanden wird. Auch hier muss diskutiert werden, wie man dies in Zukunft besser machen kann. Aufgrund von Zuschlägen, Trinkgeld und so weiter ist der Bruttolohn für Mitarbeiter im Vergleich zu anderen Branchen sehr gering. In anderen Ländern wird 80 bis 90 Prozent für das Kurzarbeitergeld bezahlt. Warum ist das in einem vermeintlich reichen Land wie Deutschland nicht möglich? Das sind die Themen, mit denen wir und vor allem die Gewerkschaften uns nach der Krise beschäftigen müssen. Und ich spreche jetzt mal die bittere Wahrheit aus: wenn wir die Beträge selbst aufstocken müssen – was ja gerade diskutiert wird – würden wir das als mittelständischer Familienbetrieb nicht überleben.
Die Misere mit den Bruttolöhnen liegt aber unter anderem auch daran, dass zum Beispiel das Schnitzel für die Gäste gar nicht günstig genug sein kann. Ich kenne übrigens viele Leute in meinem Umfeld, die sich Luxus leisten, beim Essen aber auf die Kostenbremse drücken. Das passiert aber nur,  weil wir es mit uns machen lassen und nicht zu unseren Preisen stehen. Bei den verhärteten Verhältnissen zwischen den Verbänden und der Gewerkschaft sind solche wichtigen Diskussionen nicht möglich, was ich sehr schade finde. Nur gemeinsam ist man immer stark und könnte für das Ansehen der Branche etwas bewirken!
Das nächste Problem sind die Buchungsportale, die sich in der Krise unkooperativ verhalten. Ihre Wichtigkeit wird leider von vielen überschätzt und aus purer Angst, gesperrt zu werden, lassen wir uns von denen die Geschäftspolitik vorschreiben. Heute hatte ich einen Fall von Expedia, die einfach unsere Stornierungsbedingungen außer Kraft setzten und im Stornofall Gutscheine ausstellen. Booking.com ist da nicht viel besser und HRS hat sich mit den kurz angekündigten Kommissionskosten für Firmenbuchungen auch ins Aus geschossen. Ein Miteinander wird es hier nie geben, zumindest bei HRS hatte ich da immer Hoffnung, die aber seit Dezember leider geschwunden ist.
Der Ruf nach den sieben Prozent Mehrwertsteuer für Speisen ist übrigens auch absolut gerechtfertigt, bringt uns in der Krisenzeit aber nicht weiter. Hier müssen wir unbedingt abwarten, bis wir wieder in normalen Verhältnissen leben und arbeiten können.
Solidarität in der Branche ist das Gebot der Stunde. Wie können Sie die Branche heute und künftig als Privathotelier unterstützen?
Ich habe mir vorgenommen, mich mehr zu engagieren. Ehrenamtlich möchte ich mithelfen, die Branche wieder da hinzubringen, wo sie eigentlich hingehört. Als ich mich für das Hotelfach entschieden habe, war die Arbeitsleistung und Ausbildungsqualität der dort arbeitenden hoch angesehen. Das ist heute immer noch so, doch leider hat die Gesellschaft ein anderes, negatives Bild von uns. Die Krise wird das leider sicher noch verstärken. Umso wichtiger ist es, dass wir aufstehen, und den Leuten das Gegenteil beweisen; dafür möchte ich mich stark machen. Des Weiteren bin ich gerade dabei, eine Beratungsfirma zu etablieren. Wenn man es schafft, als Privathotelier in diesen Zeiten ein Hotel heil aus dieser Krise zu steuern, dann ist es auch möglich, in jeder anderen Branchen beratend tätig zu sein.
Viele Menschen sprechen in der Krise vom positiven Effekt der Rückbesinnung. Welche zuversichtlichen Momenten erleben Sie persönlich?
Diese Rückbesinnung habe ich relativ schnell durchlaufen, da mir klar ist, was die Krise bewirken wird und welche Tragweite sie hat. Ich selbst werde mich mehr einschränken, den Fokus auf andere Dinge legen und nicht mehr alles so an mich heran lassen. Ich würde mir wünschen, wieder die Probleme zu haben, die ich noch vor der Krise hatte – das waren nämlich rückblickend gar keine.