Gastbeitrag Wie wirkt sich die Pandemie auf den Fachkräftemangel im Gastgewerbe aus?

Nach Angaben des Dehoga verlor das Gastgewerbe im vergangenen Jahr 325.000 Mitarbeitende. © Adobe Stock/cherryandbees

Tausende Mitarbeitende aus dem Gastgewerbe sind während der Pandemie in andere Branchen gewechselt - und wurden teilweise sogar gezielt abgeworben. Doch wie ergeht es den Menschen eigentlich in ihren neuen Arbeitsplätzen? Und was kann das Gastgewerbe tun, um ihre Fachkräfte zu behalten oder gar zurückzugewinnen? Ein Gastbeitrag von Michela Ivano, Director Employer Telling & Content, Eto Personalmarketing.
Marisa V. kann wieder strahlen. Sie sitzt an ihrem neuen Arbeitsplatz und lässt das letzte Jahr Revue passieren. Vom Grandhotel in die Kurzarbeit und schließlich zum Pharmakonzern, der sich auf Diabetiker spezialisiert hat. Hier habe sie im Office Management Sinnhaftigkeit und Zufriedenheit zurückgewonnen, erzählt sie. So wie Marisa V. gehe es Tausenden Gastronomie- und Hotelfachkräften, die im Zuge der Pandemie und ihrer Auswirkungen die Branche gewechselt haben. Laut Angaben des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga verlor das Gastgewerbe im vergangenen Jahr 325.000 Mitarbeitende.
Bis zur Pandemie war Marisa V. im Verkauf in einem Fünfsterne-Grandhotel mit drei Hotels eingesetzt. Sie schwärmt noch heute von ihren Tätigkeiten, der Abwechslung, dem Kontakt zu vielen unterschiedlichen Menschen und dem Alltag, der keiner war. "Alles war wunderbar. Ich hatte einen Job, der mich erfüllt hat und hatte mir gerade ein Haus gekauft", erzählt sie. Doch wie bei so vielen anderen Menschen auch, brach ihre heile Welt am 14. März 2020 von einem Tag auf den nächsten zusammen. Kurzarbeit, Absagen, Stornierungen und "nichts (zu) tun" waren plötzlich neuer Alltag. Sechs Monate nach Beginn des ersten Lockdowns habe sie gewartet und gehofft - bis sie es nicht mehr aushielt. Sie beschloss, der Branche den Rücken zu kehren: "Was mir am meisten zu schaffen gemacht hat, war die Unsicherheit. Außerdem habe ich in dieser Zeit den Spaß am Verkauf verloren. Es gab keine Erfolgserlebnisse mehr, kein Zufriedenheitsgefühl nach einem Arbeitstag, keine Aufgaben und damit keinen Sinn mehr. Diese Perspektivlosigkeit war auf Dauer unerträglich für mich."

Vom Gastgewerbe in die Pflege?

Eine Studie des Jobportals Step-Stone, bei der rund 28.000 Menschen befragt wurden, bestätigt, dass der Faktor Unsicherheit in der Krise zu den Hauptmotiven gehört, aus denen Menschen einen Berufswechsel anstreben. Das wirkte sich folglich auch auf das Jobsuchverhalten aus. So stiegen plötzlich die Suchbegriffe "Verwaltung" und "öffentlicher Dienst" um bis zu 31 Prozent an.
Eine der Personen, die ihre Arbeitsplatzsicherheit im öffentlichen Dienst gesucht hat, ist Maria F. Sie wechselte von einer leitenden Funktion mit Personalverantwortung in der Sternehotellerie in die Agentur für Arbeit. Ihr Fazit nach über acht Monaten "im Amt" fällt ernüchternd aus: "Die Menschlichkeit und das Familiäre aus dem Gastgewerbe fehlen mir unsagbar. Dieses ganz besondere Teamgefühl gibt es hier nicht."
In ihrer neuen Tätigkeit hat Maria F. mit vielen Fachkräften zu tun, die im Laufe der Pandemie ihre Jobs verloren haben. "Sie fühlen sich von ihren Arbeitgebern verlassen und alleingelassen. Überraschend viele von ihnen streben inzwischen eine Umschulung in der Pflege an." Sie seien Schichtdienste gewöhnt und wollen mit ihrer Arbeit etwas bewegen, einen Unterschied im Leben anderer machen.

Jeder Vierte will den Job wechseln

Weitere Motive, die jeden Vierten dazu antreiben, in der Krise den Job zu wechseln, sind laut Step-Stone-Studie das Verhalten von Unternehmen in der Pandemie sowie die fehlende Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit. In der Kurzarbeit und der erzwungenen Pause hätten die Menschen genügend Zeit zur Reflexion. Wirft man einen Blick in das klassische Gastgewerbe-Jobportal "Hotelcareer", fällt schnell auf, dass Pflegeeinrichtungen diesen Trend bereits für sich entdeckt haben und auf diesem Wege gezielt nach Fachkräften aus Hotellerie und Gastronomie Ausschau halten.

Gastronomiefachleute werden gezielt abgeworben

Sie sind nicht die Einzigen. Branchen wie der Einzelhandel hatten es schon vor der Pandemie auf Gastronomiefachleute abgesehen und sind jetzt noch offensiver geworden. Mit gezielten Kampagnen, besonders in den Social-Media-Kanälen, werben sie Fachkräfte ab. Dabei spielen sie in Dauerschleife gekonnt die oben genannten Schmerzpunkte und bieten sich als Lösung an. Eine bekannte Supermarktkette hat es zum Beispiel mit folgender Botschaft versucht: "Im Job geht es bei dir um die Wurst? Deine Gastro-Kenntnis schneidet bei uns auch in Zukunft gut ab. Bewirb dich jetzt." Dahinter steckt dann ein barrierefreies und unkompliziertes Bewerbungsformular, bei dem keine lästigen Uploads von Anschreiben oder Lebenslauf notwendig sind - also optimal auf die mobile Zielgruppe abgestimmt.

Work-Life-Balance im Hotelgewerbe

Philipp S. war Hoteldirektor in Hamburg, als er seine Pforten schließen musste. Zunächst nahm er in der Kurzarbeit einen Minijob in einer Discounterkette an. Daraus wurde nach kurzer Zeit eine leitende Vertriebsfunktion. Die Umstellung von der Hotellerie zum Einzelhandel sei kein Problem gewesen, da die "Grundfähigkeiten deckungsgleich" seien. Neue Herausforderungen und die persönliche Weiterentwicklung seien in der Perspektivlosigkeit sein Antrieb gewesen, erzählt Philipp S.
Neue Eindrücke und Erfahrungen habe ihm der Job bei der Leitung von sechs Märkten auf jeden Fall beschert. Mehr Gehalt verdiene er jetzt auch. Das Miteinander im Team sei trotz der Umstände gut und es mache ihm Spaß. Es gibt jedoch ein großes Aber: "Das Verhältnis Gehalt zu Arbeitseinsatz passt einfach nicht. Ja, ich verdiene mehr, aber ich arbeite auch wesentlich mehr. Eine 60-70 Stunden Woche ist in meinem aktuellen Beschäftigungsverhältnis 'normal'. Das war im Hotel schon ausgewogener. Die Work-Life-Balance war um einiges besser", erzählt Philipp S.

Fokus auf Mitarbeitende legen

Es ist also nicht alles Gold, was glänzt. Doch eines sei sicher: Wenn das Gastgewerbe nicht von einer in die nächste existenzgefährdende Krise schlittern will, dann gelte es, den Fokus auf die Mitarbeitenden zu legen. Auf die, die noch da sind, auf die Fachkräfte, die abgewandert sind, und auf die, die es werden sollen. Menschen wollen mit Leidenschaft angesteckt und mit Sinnhaftigkeit überzeugt werden. Arbeitgeber in der Hotellerie und Gastronomie sollten jetzt mit guten Gründen, einer starken Arbeitgebermarke und strategischem Recruiting präsent sein. Anders werde es ihnen kaum gelingen, dem Fachkräftemangel entgegenzutreten, der sich durch die Abwanderung und durch den neuen Imageschaden noch verschärfen wird.


Michela Ivano © Eto Personalmarketing GmbH

Autor: Michela Ivano, Director Employer Telling & Content, Eto Personalmarketing

Die vollständigen Namen der genannten Personen sind dem Autor bekannt.