Ralf Schade führt seit mehr als 20 Jahren den Bruchsaler Energiedienstleister Enoplan. Im Tophotel-Interview erläutert der Diplom-Kaufmann, welche Handlungsspielräume Hoteliers zugunsten von Kostensenkung und Sicherung der Versorgung in einem außer Kontrolle geratenen Energiemarkt haben.
Tophotel: Herr Schade, was ist momentan Ihre größte Herausforderung?
Ralf Schade: Alle Energieversorger kündigen die Lieferverträge zum Laufzeitende, und wir müssen für jeden Kunden einen neuen Liefervertrag organisieren. Dabei passiert es uns oft, dass keine neuen Verträge mehr angeboten werden, weil den Energieversorgern die Risiken aufgrund der Marktlage zu hoch sind. Für Gas gilt dies nochmals mehr als für Strom. Als Energievermittler besteht unser Tagesgeschäft gegenwärtig vor allem darin, die Versorgung für unsere betroffenen Kunden sicherzustellen, und das zu den möglichst günstigsten Beschaffungskonditionen im Verhältnis zum Börsenpreis. Je höher die benötigte Menge, umso schwieriger ist es derzeit allerdings, überhaupt einen lieferfähigen und -bereiten Versorger zu finden. Liegt der Bonitätsindex über 2, wird es besonders herausfordernd. Finden wir trotz schlechter Bonität ein Angebot, wird meist als weitere Erschwernis Vorauszahlung verlangt.
Greift nicht notfalls die Ersatz- und Grundversorgung?
Wenn ein Hotel Gas aus dem Niederdrucknetz beziehungsweise Strom in der Niederspannung bezieht und der jährliche Stromverbrauch unter 10.000 kWh liegt, greift im Fall der Fälle die Grund- respektive Ersatzversorgung. Das bedeutet, der örtliche Netzbetreiber übernimmt die Versorgung, falls kein anderer Anbieter mehr gefunden wird. Gewerbekunden mit einem höheren Gas- oder Stromverbrauch haben laut Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) keinen gesetzlichen Anspruch auf diese Grundversorgung. Meines Erachtens ist jetzt die Politik am Zug. Sie sollte vorhandene Mengen aus den inzwischen gut gefüllten Speichern an die Versorger freigeben und eine Versorgungspflicht auch für Mitteldruck und Mittelspannung einführen.
Für jene, die derzeit überhaupt die Wahl haben: Welche Möglichkeiten der kaufmännischen Optimierung gibt es noch?
Die Preise steigen für alle. Neue Stromverträge für 2023 werden momentan – Stand Mitte Oktober 2022 – mit Preisen zwischen 50 und 60 Cent je Kilowattstunde angeboten, im vergangenen Jahr waren es im Vergleich dazu zwischen vier und fünf Cent. Daher wählen die meisten die Alternative des Spot-Markts, also von Kurzfristverträgen, bei denen sich der kWh-Preis zurzeit um die 30 Cent bewegt. Der Spot-Markt bietet sich aus unserer Sicht als Übergang bis zu einer neuen Struktur an, bis die Preise der Vertragsangebote sich wieder auf einem niedrigeren Niveau einpendeln. Das Risiko: Kommt es zu einer weiteren Zuspitzung der Lage, könnten sich die Spot-Markt-Preise höher entwickeln als Vertragsangebote, die man jetzt ablehnt. Das sind Abwägungsentscheidungen. Wir versuchen, stets die individuell beste Lösung zu vermitteln und übernehmen auch das Monitoring und die Kontrolle.
Sind die ausbleibenden Lieferungen aus Russland der Hauptgrund, dass der Energiemarkt so außer Kontrolle geraten ist?
Ja, aber nicht allein. Problematisch ist auch das sogenannte Merit-Order-Modell, das hierzulande zur Preisfindung auf dem Energiemarkt dient. In normalen Zeiten funktionierte es gut, weil es dafür sorgte, dass immer die jeweils günstigsten Kraftwerke am Netz waren, um die derzeitige Nachfrage zu decken. Bei hohem Ertrag von Wind- und Solarstrom drängten die erneuerbaren Energien die Restlast der teureren konventionellen Kraftwerke – Atom, Kohle & Co. – zurück. In der derzeitigen Notsituation werden jedoch alle Kraftwerke benötigt, und dadurch ist die Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben. Denn das zuletzt zugeschaltete, teuerste Kraftwerk – jetzt sind es die Gaskraftwerke – bestimmt den Marktpreis für alle.
Hat das auch mit Psychologie zu tun?
Ja, es ist wie mit dem Klopapier zu Beginn der Coronapandemie oder dem Sonnenblumenöl zu Beginn des Ukrainekriegs. Alle geraten in Panik und kaufen. Was wir sehen, sind die typischen Marktmechanismen bei knappen Mengen. Dabei wurde bisher noch keine Kilowattstunde weniger produziert, und die Gasspeicher sind voller als im vergangenen Jahr.
Wie steht es wirklich um die Versorgungslage, und was bedeutet das für die nähere Zukunft?
Da kann auch ich keine exakte Prognose geben. Wenn es ein normaler Winter wird, könnte es reichen. Bei einem harten Winter wird es knapp. Fakt ist, wir müssen sparen und zu heterogeneren Energiequellen kommen. Ich erwarte, dass die besonders kritische Phase der Neuausrichtung in zwei bis drei Jahren gemeistert ist. Aber die Preise werden nachhaltig höher sein und nicht zu früheren Werten zurückkehren. Bisher war es so: Energie war immer selbstverständlich, jetzt ist sie etwas wert. Jeder wollte die Energiewende, aber kaum einer war bereit, dafür zu bezahlen. Das ist nun vom Tisch.
Was bedeutet das für die Hotellerie?
Es lohnt sich, in Autarkie zu investieren und sich technisch neu aufzustellen. Hoteliers sollten die Rentabilitätsrechnungen, die viele zu Photovoltaik samt einem kleinen Batteriespeicher und/oder einer neuen Heizungsanlage, zum Beispiel Wärmepumpe, schon einmal vorgenommen haben, wieder hervorholen und überprüfen. Denn angesichts der Energiepreise haben sich die Amortisationszeiten teils erheblich verkürzt. Zudem gibt es Förderprogramme. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass künftig ohnehin Verpflichtungen zu derartigen Umrüstungen kommen.
Was können Hoteliers jetzt noch kurzfristig tun, um Energieeinsparpotenziale zu heben und die Verbräuche zu senken?
Sie sollten die gesamte Haustechnik wachsam durchgehen, da findet sich immer etwas. Häufig laufen beispielsweise die Lüftungs- und Kälteanlagen nachts durch, man könnte sie an die tatsächliche Nutzungszeit anpassen. Wichtig ist, jetzt alle Verbraucher abzuschalten, die unnötig oder zu lange laufen. Da hilft auch ein externer Blick. Was viele übrigens nicht wissen: Heute setzen sich die Preise zu 95 Prozent aus Verbrauchskosten zusammen. Früher war es oft das Kostensenkungsziel, Leistungsspitzen zu glätten. Das ist preislich mittlerweile kaum noch relevant.
Was sollte die Hotellerie aus der derzeitigen Situation lernen?
Ich kann aus Erfahrung sagen, dass die Branche viele gute und ideenreiche Unternehmer hat. Ihre Flexibilität und Multivarianten-Strategien beeindrucken mich. Ein Beispiel sind die Hoteliers, die jetzt im Rahmen von flexiblen Tarifen die Gäste einbeziehen: weniger Handtuchwechsel gleich niedrigerer Zimmerpreis. Da muss ich, über das bereits Gesagte hinaus, gar nicht mehr viel raten.
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