Vier Wochen vor Weihnachten Corona-Lage immer ernster

Corona-Lage in Deutschland
Der Druck auf die künftige Ampel-Regierung nimmt immer weiter zu, schärfere Maßnahmen gegen Corona zu beschließen. Kommt doch wieder ein Lockdown? © pressmaster - stock.adobe.com

Mitten in der vierten Corona-Welle lässt die Ausbreitung einer weiteren Virusvariante die Alarmglocken schrillen. Die Rufe werden lauter, die Maßnahmen gegen Corona zu verschärfen. So schlägt die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina sogar mehrwöchige Kontaktsperren auch für Geimpfte vor. Ein Überblick über die aktuelle Lage.
Knapp vier Wochen vor Weihnachten wird die Entwicklung in der Corona-Pandemie immer dramatischer. Die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland steigt weiter, erste Fälle der besorgniserregenden neuen Omikron-Variante wurden nun auch hierzulande nachgewiesen. Der Druck auf die künftige Ampel-Regierung nimmt zu, schnell schärfere Maßnahmen zu beschließen. Der voraussichtlich neue Kanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von "neuen dramatischen Herausforderungen" und betonte, es gebe nichts, was nicht in Betracht gezogen werde.
So könnte der von der künftigen Ampel-Koalition geplante Corona-Krisenstab im Kanzleramt bereits in den nächsten Tagen und damit noch vor Amtsantritt der Regierung aus SPD, Grünen und FDP seine Arbeit aufnehmen. Nach den Worten von FDP-Chef Christian Lindner soll das ständige Bund-Länder-Gremium in dieser Woche starten, SPD-Chefin Saskia Esken nannte auf Twitter "in Kürze" als Zeithorizont.
An der Spitze des Krisenstabes soll ein General stehen, wie Lindner am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt" und bei "Anne Will" in der ARD sagte. Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" ist für die Leitung des Stabes Generalmajor Carsten Breuer im Gespräch. Der 56-Jährige ist Kommandeur des Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr, das für Einsätze der Streitkräfte im Inland zuständig ist.
Der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe (CDU) forderte dabei eine Beteiligung der Kommunen. "Der neue Corona-Krisenstab muss sofort starten und die Städte gehören mit an den Tisch", sagte Lewe den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Die Expertise der Städte ist dafür unentbehrlich, denn dort wird die Arbeit gemacht und die Corona-Maßnahmen vor Ort umgesetzt", betonte Lewe.

Termin für nächste MPK

Weiteren Streit gibt es jedoch, ob es wegen der extrem angespannten und durch die neu aufgetauchte Omikron-Variante weiter zugespitzten Lage ein rasches Bund-Länder-Treffen geben soll und ob der von den Ampel-Parteien geänderte Infektionsschutz ausreicht, um die vierte Corona-Welle zu brechen. Bisher geplant ist, dass Bund und Länder am 9. Dezember zusammenkommen - dann könnte Scholz bereits zum neuen Kanzler gewählt sein.
Grünen-Chefin Annalena Baerbock machte nun im Grundsatz deutlich, dass man nicht bis dahin warten könne. Man werde den Krisenstab auf den Weg bringen und in den nächsten Tagen sehen, ob die Länder die Möglichkeiten umsetzen, die das Infektionsschutzgesetz ihnen gebe. So sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Dittmar, der "Augsburger Allgemeinen": "Die Bundesländer haben alle rechtlichen Möglichkeiten in der Hand, um Beschränkungen im öffentlichen und privaten Raum anzuordnen. Diese müssen sie entschlossen nutzen." Auch FDP-Fraktionsvize Michael Theurer rief die Ministerpräsidenten auf, den "vollen Instrumentenkasten des Infektionsschutzgesetzes" auszuschöpfen. Wenn das jedoch nicht der Fall sei, müsse man über die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) oder im Parlament handeln.
Politiker von Union, SPD, Grünen und FDP zeigten sich auf jeden Fall einig in der Forderung, Kontakte massiv zu reduzieren und große Veranstaltungen abzusagen. Der noch geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erneuerte in der ARD-Sendung "Anne Will" zudem seine Forderungen nach umfassenden 2G-Regeln im ganzen Land und nach einer umgehenden MPK. "Das Virus verzeiht keine Halbherzigkeit", mahnte der CDU-Politiker.

Forderung nach zusätzlichen Regelungen

Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen hält wegen der Zuspitzung der Corona-Lage weitere Schritte zum Infektionsschutz für notwendig. "Die geschäftsführende und neue Bundesregierung wird sich damit beschäftigen müssen, welche zusätzlichen Regelungen kurzfristig auf den Weg gebracht werden müssen, um flankierend zu den schon möglichen Schutzmaßnahmen eine noch konsequentere Bekämpfung der Pandemie zu ermöglichen", sagte Dahmen der "Welt". Den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte er: "Der Beschluss der Ampel im Bundestag kann nur ein erster gewesen sein." Bund und Länder müssten darüber sprechen, wie sichergestellt werde, dass die notwendigen Maßnahmen auch eingeführt und kontrolliert werden. "Und das müssen wir vor dem 9. Dezember tun", forderte Dahmen.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erwartet

Mit Spannung wird die für Dienstag, den 30. November, angekündigte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über Verfassungsbeschwerden gegen die Corona-Notbremse des Bundes aus dem Frühjahr erwartet. Dabei geht es um die Ende Juni ausgelaufenen bundesweiten Vorgaben für Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen bei einer sich verschärfenden Corona-Lage. Es wird damit gerechnet, dass die Karlsruher Richter damit Leitplanken auch für künftige Beschränkungen geben. Lindner betonte, man werde sehr sorgfältig auswerten, was mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Ausgangssperren beurteilte er skeptisch. Sie hätten einen sehr hohen sozialen Preis mit nicht klar nachgewiesenem Nutzen, sagte er im ZDF.

Neu entdeckte Omikron-Variante

Zusätzliche Sorgen weltweit wie auch in der deutschen Politik bereitet die neu entdeckte Omikron-Variante des Coronavirus. Sie ist mittlerweile in zahlreichen Ländern - auch in Deutschland - aufgetaucht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die zunächst im Süden Afrikas entdeckte Variante als "besorgniserregend" eingestuft. Mehrere Länder, darunter die Bundesrepublik, reagierten mit schärferen Reisebeschränkungen. Die Gesundheitsminister der führenden westlichen Wirtschaftsnationen (G7) wollen am heutigen Montag dazu beraten.
Der Berliner Virologe Christian Drosten sagte am Sonntagabend im ZDF-"heute journal", er sei wegen der Variante "ziemlich besorgt". Man wisse nicht allzu viel über sie. Berichte über milde Verläufe hätten noch nicht sehr viel Substanz angesichts von nur gut 1.000 Fällen, so Drosten. Hier müsse man die klinischen Verläufe abwarten. Man sehe aber, dass sie häufig bei jungen Leuten in Südafrika auftauche und auch Menschen betreffe, die eine Erkrankung schon hinter sich haben. Er habe die Sorge, dass man die erste wirkliche "Immunfluchtmutante" vor sich habe.

Appell von Steinmeier

Bundespräsident Steinmeier schrieb in einem Gastbeitrag für die "Bild am Sonntag": "Wichtig ist, dass wir jetzt alle gemeinsam handeln." Er mahnte: "Halten wir uns an die Regeln, reduzieren wir noch einmal unsere Kontakte. Tun wir es, damit Schulen und Kitas nicht wieder schließen, damit wir das öffentliche Leben nicht wieder vollständig herunterfahren müssen." Steinmeier selbst sagte seine dreitägige Reise in die Golfregion wegen der Entwicklung der Corona-Pandemie kurzfristig ab. Er appellierte erneut an die Menschen, sich impfen zu lassen.

Leopoldina fordert Kontaktbeschränkungen

Die Leopoldina betonte, die Impfkampagne müsse massiv verstärkt und eine Impfpflicht stufenweise eingeführt werden. "Unmittelbar wirksam ist es aus medizinischer und epidemiologischer Sicht, die Kontakte von Beginn der kommenden Woche an (Anm. d. Red.: ab 29.11.) für wenige Wochen deutlich zu reduzieren", verlangen die Wissenschaftler. "Aufgrund der nachlassenden Immunität müssten diese Maßnahmen vorübergehend auch für Geimpfte und Genesene gelten, die in dieser Zeit eine Auffrischungsimpfung erhalten müssen."

Kommt die Impfpflicht?

Die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht hält an. So sprach sich der Einzelhandel dafür aus. Der geschäftsführende Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte der "Bild am Sonntag" auf die Frage, ob er eine Impfpflicht befürworten würde: "Ja, und ich finde es richtig, dass wir in einem ersten Schritt noch vor Weihnachten dafür sorgen, dass es zum Beispiel in Kliniken, in Pflege-, Alten- und Behinderteneinrichtungen eine Impfverpflichtung gibt."
Spahn brachte lange Einschränkungen für Ungeimpfte ins Spiel. Er sagte, er sei grundsätzlich skeptisch, was eine allgemeine verpflichtende Impfung angehe. Eine Alternative, die zu diskutieren sei, sei durchgängig 2G für alle Lebensbereiche, also Zugang nur noch für Geimpfte und Genesene - und zwar für das gesamte Jahr 2022. dpa