Neue Corona-Politik Hospitalisierungsrate soll Inzidenz ersetzen

Krankenhaus mit Flur Bett und Arzt mit Bewegungsunschärfe von vorne laufen
Künftig sollen sich mögliche Einschränkungen auch an der Zahl der im Krankenhaus behandelten Fälle ausrichten. © Adobe Stock/upixa

Bisher galt eine Sieben-Tage-Inzidenz von 50 als Grenze für neue Corona-Einschränkungen. Künftig soll aber ein anderer Richtwert entscheidend sein: die sogenannte Hospitalisierungsrate. Menschen mit Corona-Impfung und Genesene müssen nach derzeitigem Stand jedoch keine neuen Einschränkungen fürchten.

Mit der geplanten Abkehr von der Inzidenz als alleinigem Gradmesser für Einschränkungen rückt ein Kurswechsel in der Corona-Politik in Deutschland näher. Derzeit schreibt das Infektionsschutzgesetz vor, dass bei Überschreitung des Wertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte dazu am Montag im ZDF: "Die 50er-Inzidenz im Gesetz, die hat ausgedient." Künftig sollen sich mögliche Einschränkungen maßgeblich auch an der Zahl der im Krankenhaus behandelten Fälle ausrichten, die sogenannte Hospitalisierungsrate. Derzeit sind es rund 1,3 solcher Fälle pro 100.000 Einwohner und sieben Tagen.
Im Corona-Kabinett sei man sich einig, dass Spahn zügig eine Neuregelung statt der 50er-Inzidenz vorschlagen und das Bundeskabinett diese dann beschließen solle, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Angesichts voranschreitender Impfungen und einer "dynamisch anlaufenden vierten Welle der Pandemie" sollten Klinik-Überlastungen verhindert werden. Details der geplanten Neuregelungen blieben jedoch vorerst offen.

SPD warnt vor Flickenteppich

An diesem Mittwoch will der Bundestag zunächst über das Fortbestehen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite entscheiden. Die Neuregelung zur Inzidenz im Infektionsschutzgesetz könnte an ein anderes Gesetz angehängt und in einer weiteren Sitzung vor der Bundestagswahl im September beschlossen werden, wie es in Fraktionskreisen hieß. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zeigte sich beim Sender Bild erfreut über Spahns "Einlenken". Die Unionsfraktion habe SPD-Vorstöße hin zu neuen Kriterien angesichts des Impffortschritts bisher blockiert. Der SPD-Rechtsexperte Johannes Fechner warnte jedoch vor einem "Flickenteppich unterschiedlicher Länderregelungen". So hat sich beispielsweise Baden-Württemberg bereits vergangene Woche von der Inzidenz als Schwelle für Einschränkungen verabschiedet. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schlug hingegen bei Focus Online eine "Belastungsampel des Gesundheitssystems" vor.

Keine Einschränkungen für Geimpfte

Seit Montag gelten in Deutschland nach Vorgabe der Ministerpräsidentenkonferenz teils ausgeweitete 3G-Regeln. Das heißt: Zutritt zu Restaurants, Friseuren, Kliniken, Schwimmbädern und anderen Innenräumen gibt es bei hohem Infektionsgeschehen nur noch für Geimpfte, Genese oder negativ Getestete. Seibert sagte jedoch, Menschen, die gegen Corona geimpft oder die genesen sind, müssten nach jetzigem Stand keine gravierenden Einschränkungen mehr fürchten. "Man kann den Geimpften sagen, dass sich für sie, auch wenn jetzt die Zahlen weiter ansteigen, nichts ändern wird, und das gilt auch für die Genesenen: Sie müssen jetzt nicht mit neuen Einschränkungen rechnen." Noch wisse aber niemand, ob eine neue Virusvariante auftauche, bei der die bisherigen Impfstoffe nicht wirkten.

Impfungen ziehen nicht wesentlich an

Angesichts der weiteren schnellen Verbreitung des Virus bei Ungeimpften und den Einschränkungen für Ungeimpfte meldeten einige Bundesländer einen leichten Anstieg des Impftempos. "Die Impfungen ziehen leicht an", sagte zum Beispiel ein Sprecher des NRW-Gesundheitsministeriums. Auch in Baden-Württemberg und in Schleswig-Holstein seien etwas mehr Impfangebote wahrgenommen worden.
Eine generelle Trendwende gebe es aber nicht. Behörden und Kassenärztliche Vereinigungen in Niedersachsen, Hessen, Hamburg, Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt meldeten keine höheren Zahlen. Neuen Schwung soll es vielerorts durch besondere Maßnahmen geben - landesweite Impfaktionen etwa oder wie in Rheinland-Pfalz durch einen Familienimpftag. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger und der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, riefen in einem gemeinsamen Appell zur Impfung auf. Der Präsident des Landkreistags, Reinhard Sager, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: "Sollten alle Anstrengungen nicht fruchten, müssen wir ernsthaft über eine Impfpflicht sprechen." dpa