Wegen des Fehlens einer tatsächlichen Corona-Erkrankung im Betrieb werden Gastronomiebetrieben in Brandenburg, die während des ersten Lockdowns schließen mussten, keine Entschädigungen gezahlt. So sieht es laut Rechtsanwalt Thorsten Purps die dortige Auslegung des Infektionsschutzgesetzes vor. Dagegen klagt Schloss Diedersdorf nun in zweiter Instanz.
Neu für die Bewertung der Rechtslage ist eine Wortmeldung des früheren Präsidenten des Bundes-Verfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, der einen gesetzlichen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung einräumt.
Im Rechtstreit gegen das Land Brandenburg wegen grober Ungleichbehandlung von Gastronomen im ersten Corona-Lockdown vom Frühjahr 2020 bei den Entschädigungszahlungen geht Schloss Diedersdorf jetzt in die zweite Instanz. Rechtsanwalt Thorsten Purps vom Potsdamer Büro der überregionalen Sozietät Streitbörger vertritt Eigentümer Thomas Worm nun auch vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht in Brandenburg an der Havel. Die Verhandlung ist für den 1. Juni, 10:30 Uhr im Saal 018 angesetzt. Sie folgt auf das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 24. Januar, Schloss Diedersdorfs erste Klage abzuweisen. Anwalt Purps erklärt nun: "Nach wie vor halten wir den vom Landgericht gewollten Ausschluss ausgerechnet der Gastronomen, die sich konsequent an Gesetz und Ordnung gehalten haben, für eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung."
Schloss Diedersdorf ist als Tagungs- und Event-Location mit Standesamt, Restaurantbetrieb, Hotel sowie nach eigenen Angaben mit dem größten Biergarten in der Region Brandenburg und Berlin eine feste Größe und wichtiges Ausflugsziel. Bundesweit bekannt wurde das Schloss als Kulisse der RTL-Sendung "Bauer sucht Frau", ebenso wie durch die Musikantenscheune des RBB. Der Rechtsstreit dreht sich um die aufgrund einer Verordnung verfügte Schließung des Betriebs während der ersten Corona-Welle vor einem Jahr. Wegen der Corona-Pandemie musste das Unternehmen ab dem 18. März 2020 für Monate seine Tätigkeit einstellen.
Entschädung nur bei Corona-Fall im Betrieb
Das Infektionsschutzgesetz sieht zwar bei Corona-Schließungen von Gastronomiebetrieben eine teilweise Entschädigung für entgangenen Gewinn während der ersten sechs Wochen des Stillstands vor. Das Land Brandenburg aber hat dieses Bundesgesetz bisher so ausgelegt, dass mindestens ein tatsächlicher Corona-Fall im Betrieb vorgekommen sein muss. Gastronomen wie Worm, die zu Beginn der Pandemie allein wegen des allgemeinen Tätigkeitsverbots ihre Betriebe schließen mussten und dank aufwändiger Hygienemaßnahmen ihr Personal geschützt haben, gingen in Brandenburg leer aus.
"Viele Gastronomen in Brandenburg", so Rechtsanwalt Purps, "haben ebenso wie mein Mandant den Antrag auf Entschädigung gestellt, sind aber allein wegen des Fehlens einer tatsächlichen Corona-Erkrankung leer ausgegangen." Worm sagt dazu: "Es kann doch nicht sein, dass wir bestraft werden dafür, gleich am Beginn der Pandemie durch schnelle, gründliche Schutzmaßnahmen schon vor dem Lockdown Ansteckungen erfolgreich verhindert zu haben."
Um die Auslegung des Infektionsschutzgesetzes in genau dieser Frage, ob Entschädigungen auch ohne Infektionen im Betrieb zu leisten sind, ging es im ersten Gerichtsverfahren, wie auch jetzt in der der Berufung.
Neue Wortmeldung für Bewertung der Rechtslage
Neu für die Bewertung der Rechtslage ist eine Wortmeldung des früheren Präsidenten des Bundes-Verfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, die ebenfalls am 24. Januar – kurz nach der Verhandlung des Landgerichts am selben Tag – durch die Nachrichtenagenturen ging. Papier vertritt demnach den Rechtsstandpunkt, dass Unternehmen und Selbständige, die aus Gründen des Infektionsschutzes ihre Tätigkeit einstellen müssen, "ein Sonderopfer zum Wohle der Allgemeinheit auferlegt" werde.
Aus diesem Grunde, so Papier weiter, müsste ihnen "ein gesetzlicher Anspruch auf eine angemessene Entschädigung eingeräumt werden." Und schließlich, ganz konkret: "Der Gesetzgeber hätte Ausgleichs- oder Entschädigungsregelungen bereitzustellen." Dass aber bisher eher nach den verfügbaren Haushaltsmitteln entschieden werde und in maßgeblichen Richtlinien ausdrücklich formuliert sei, es gebe keinen Rechtsanspruch auf Leistung, "halte ich aus rechtsstaatlichen Gründen für fragwürdig." Rechtsanwalt Purps erwartet nun, "dass Papiers sehr gewichtige Stimme beim Oberlandesgericht Gehör findet."