Muss es immer Wein zum Gourmetmenü sein? Spitzenkoch Nils Henkel sagt Nein – er kredenzt im Sternerestaurant des Relais & Châteaux Burg Schwarzenstein alkoholfreie Getränke zu seinen exklusiven Gerichten.
Hasensprung, Johannisberg und Hölle: Vor dem Gourmetrestaurant im Hotel Relais & Châteaux Burg Schwarzenstein liegen einige der bekanntesten Weinberge des Rheingaus. Auf den Tischen des Gastraums mit 28 Sitzplätzen spielen aber nicht nur die edlen Tropfen aus der Region, sondern auch erlesene alkoholfreie Getränke die Hauptrolle. Dort darf im Glas beispielsweise ein dunkler hausgemachter Bitter aus Artischockenblättern sein Aroma entfalten. Ein Bitter, der mit Gemüseessenz, Sherry-Essig und Thymiannoten veredelt wurde und der als Aperitif den Auftakt zur alkoholfreien Getränkebegleitung des Restaurants „Schwarzenstein“ (zwei Sterne im Guide Michelin und 18 Punkte im
Gault-Millau) bildet.
Getränke ohne Prozente
Das spezielle Getränkekonzept entwickelte Küchenchef Nils Henkel schon 2011. Damals war er noch im Schlosshotel Lerbach tätig. Seine Frau war zu dieser Zeit schwanger, und bei gemeinsamen Restaurantbesuchen wurde ihr meist nur Wasser als Alternative zu Wein angeboten. Das war dem Paar nicht genug, so wurde die Idee zur alkoholfreien Getränkeabfolge geboren. Schon bald unternahm der Koch erste Feldversuche – und er hatte Erfolg. Sei es aufgrund des gestiegenen Gesundheitsbewusstseins oder auch der Lust der Gäste auf Abwechslung – viele nahmen das Angebot dankend an. Da lag es nur nahe, das Konzept auch in die neue Wirkungsstätte, die Burg Schwarzenstein, mitzunehmen.
Flora oder Fauna?
Angeboten werden dort zwei Menüs, die die Titel „Fauna“ und „Flora“ tragen. Die
nicht vegetarische Variante „Fauna“ (acht Gänge, 225 Euro) basiert auf für die Sterneküche klassischen Zutaten wie Taube, Jakobsmuschel oder Trüffel. Das Veggi-Menü „Flora“ (acht Gänge, 185 Euro) kommt dagegen gänzlich ohne Fisch- und Fleischbestandteile aus. Gemeinsam ist beiden, dass sie eindrucksvoll zeigen, welch spannende Wechselwirkung zwischen einem Gericht und einem maßgeschneiderten Getränk entstehen kann. Angefangen beim Amuse-Bouche des „Fauna“-Menüs – einer Kaninchen-Roulade in einer lauwarmen Schnittlauch-Senfsaat-Vinaigrette, die von süßlichem Möhrenpüree, würzig-erdigen Morcheln und Möhrenkresse flankiert wird. Als Getränk serviert Henkel dazu eiskalten Karottensaft, der durch die Zugabe von säuerlichem Cranberrysaft eine feine Fruchtnote bekommt. Vor allem durch die Kälte sollen im Mund auch die herben Noten des Gemüses zur Geltung kommen.
Aroma-Infusion
Das feste Fleisch der Felsenrotbarbe im zweiten Gang kombiniert Nils Henkel nicht nur mit bissfestem Fenchel, zartem Tintenfisch, halbgetrockneten süßlichen Kirschtomaten und Staub vom Fenchelkraut sowie einer Sauce Bourride und frittierten Fischschuppen. Sondern auch mit einem außergewöhnlichen Sud, der dem Gericht eine weitere Geschmacksebene hinzufügt: Einer speziellen Infusion, die ihren aromatischen Unterbau durch das Auskochen von Fenchelknollen, reifen Tomaten, Fischkarkassen und durch die Zugabe der warmen Noten von Anis- und Fenchelsaat gewinnt. Auf letztere Nuancen weist Sommelier Michel Fouquet hin, der den eiskalten Sud von einer Flasche in die Weingläser fließen lässt. Beim Probieren fällt zudem besonders die heuähnliche, kampfer- und zitrusartige Note des Safrans auf.
Kalbsbries mit Haselnussmilch
Doch Nils Henkel arbeitet in seinem Restaurant nicht nur mit außergewöhnlichen, sondern auch mit sehr direkten Querverbindungen. Zum in Butter ausgebratenen Kalbsbries mit Périgordtrüffeln, rustikalem Rosenkohl und Haselnusscreme serviert der Sommelier eine kühle, leicht süße Haselnussmilch, die in einem Sojamilchbereiter hergestellt wurde. Wie bei fast all seinen Gerichten geht der Koch auch hier sparsam mit Zucker und Fett um. Ebenso deutlich wie beim Kalb ist die Querverbindung beim fermentierten Blumenkohl mit Sauerkleecreme, gerösteter Milchhaut und Rapssaat. Die Gäste trinken dazu fermentierten Blumenkohlsaft, der durch die Milchsäuregärung an Sauerkraut erinnernde Nuancen entwickelt hat.
Ayurveda-Eistee
Generell kombiniert der Spitzenkoch gern – traditionelle und zeitgemäße Elemente, Luxus- und Regionalwaren sowie verschiedene Arten des Zubereitens – vom Frittieren bis Pulverisieren. Auch das Zusammenspiel von Konsistenz und Textur wirkt stets durchdacht. Als Hauptgang serviert der Chef beispielsweise eine geräucherte Taubenbrust, die in gepufftem Quinoa, geröstetem Reis und Pistazien oder gehackter Taubenhaut gewälzt wurde. Der Knuspereffekt hellt das feinwürzige Aroma des Fleischs auf, das sich auch als Ragout auf dem Teller findet. Das I-Tüpfelchen jedoch bildet erst der dazu gereichte „Ayurveda Eistee“. Für dessen Zubereitung werden Grüntee, Süßholz, Pfeffer, Fenchelsaat, Sternanis und Orangeblüten kalt extrahiert. Die Noten der Gewürze und des Tees, die anfangs präsent sind, gehen in einen anhaltenden Süßholz-Geschmack über; ein Schluck zwischendurch soll den Gaumen neutralisieren und den Geist beleben sowie Lust auf das Gericht machen.
Milchkefir mit Pfiff
Gefolgt wird die Taube von einem ebenfalls ungewöhnlichen Dessert. Auch dabei setzt Nils Henkel auf eine interessante Art der Zubereitung. Der Spitzenkoch präsentiert Staudensellerie als süßliches Sorbet sowie Knollensellerie als stichfeste Creme zusammen mit Gianduja, einer Schokoladen-Haselnuss-Creme, und Weinbergpfirsich in Form von Sorbet, Coulis und Püree. Das korrespondierende Getränk: ein Milchkefir mit Sellerie und Pfirsich.
Den Abschluss des Menüs bildet schließlich ein Mais-Eis mit Zwiebel-Konfit und Popcorn. Dazu kann es als Digestif auch ausnahmsweise ein Schwarzensteiner Riesling sein. Dabei darf es aber auch bleiben an diesem Abend.