In der Pandemie haben sich viele Kunden an die Convenience digitaler Geschäftsmodelle gewöhnt. Das erhöht auch den Druck auf die Hotellerie, die Guest Journey zu digitalisieren. Wie Betreiber jetzt am besten ins Handeln kommen, erläutert Hotelbird-CEO Juan A. Sanmiguel im Gespräch mit Tophotel.
Tophotel: Herr Sanmiguel, die Pandemie hat Versäumnisse beim digitalen Wandel schonungslos offengelegt, oder?
Juan A. Sanmiguel: Absolut. Die Pandemie hat den Digitalisierungsdruck deutlich erhöht. Unsere Branche benötigt eine digitale Veränderung, denn es gibt einiges nachzuholen. Schließlich kennen wir die Digitalisierung ja bereits aus anderen Bereichen – beispielsweise werden wir bei der Bestellung von Essen sowie der Buchung eines Carsharing-Fahrzeugs oder eines Hotels via App mit digitalen Technologien verwöhnt. Natürlich steigt jetzt einerseits der Druck in der Hotellerie, weil die Gäste diese digitalen Lösungen kennen und sich auch in der Hotellerie wünschen. Andererseits werden die Prozesskosten in den Hotels durch digitale Lösungen reduziert. Deshalb spüren wir aktuell eine starke Nachfrage, der Bedarf ist erstaunlich hoch.
Braucht es dafür ein neues Mindset?
Ja, definitiv! Wo das Mindset nicht stimmt, ist es schwierig zu digitalisieren. Denn die Digitalisierung muss einerseits im Mindset beginnen, andererseits aber auch in der Unternehmenskultur verankert und somit gelebt werden. Deshalb unterstützen wir unsere Kunden auch langfristig und begleiten sie während der kompletten Transformation.
Ist der Mindset-Change der erste Schritt, um ins Handeln zu kommen?
Zuerst sollten die Hotels verstehen, wie sie agieren möchten. Es beginnt mit dem Mindset, und dann muss die Digitalstrategie zum Hotel und dessen Betreiberkonzept passen. Wir empfehlen unseren Kunden folgende Schritte: Erstens Probleme und Optimierungsansätze identifizieren, zweitens die aktuellen Prozesse und IT-Landschaft analysieren und drittens gemeinsam mit dem Kunden die Ziele definieren. Viertens legen wir dann den Digitalisierungsgrad fest, den der Betreiber erreichen möchte, und implementieren fünftens die Technologie.
Was sind Ihre Tipps, um den Tiefschlaf verlassen und ins Handeln kommen zu können?
Die Hotelbetreiber sollten jetzt die Zeit nutzen, um die Prozesse zu analysieren und die Probleme zu identifizieren. Zudem sollte man keine Angst vor der Digitalisierung haben – denn die Digitalisierung automatisiert einfach nur lästige Aufgaben. Der persönliche Service wird somit gefördert. Ein weiterer Tipp ist, sich aktiv am Markt nach den geeigneten Systemen umzuschauen. Haben sie die passenden Schnittstellen? Sind sie mit meiner Software kompatibel? Wichtig: Man sollte die eingeholten Angebote nach Preis-Leistung vergleichen. Mein letzter Tipp sind die Förderprogramme wie die Überbrückungshilfe III. Hotelbird ist hier beispielsweise komplett förderfähig.
Seit der Gründung von Hotelbird im Jahr 2015 haben Sie sicherlich einige agile Erneuerer in der Hotellerie kennengelernt. Was macht diese Personen aus?
Es gibt die Erneuerer, die aufgrund aktueller Ereignisse keine andere Wahl hatten – wenn sie die Existenz des Betriebs nicht gefährden wollten. Andere kommen als Newcomer in den Markt und bringen schon das richtige Mindset mit. Grundsätzlich schafft es ein agiler Erneuerer, sich an die Bedürfnisse seiner Gäste anzupassen, und er setzt sich stark mit den digitalen Tools auseinander. Und diese helfen ja dann, die Servicequalität zu erhöhen und neue Umsatzkanäle zu schaffen. Agile Erneuerer ändern Altes, optimieren Bestehendes und eliminieren Überflüssiges. Zum Beispiel das Anstehen an der Rezeption – das ist Schnee von gestern!
Schnee von gestern – wie schnell überzeugen Sie Ihr Gegenüber, die Kundenreise mit Ihren Lösungen zu vereinfachen?
Aktuell müssen wir keine große Überzeugungsarbeit leisten, weil die Hotels den Bedarf sehr deutlich erkannt haben. Übrigens auch bei den individual geführten Hotels. Als Marktführer verfügen wir zudem über eine sehr gute Position, weshalb uns ein großes Vertrauen entgegengebracht wird und dieses auch mit der großartigen Leistung unserer Mitarbeiter bestätigt wird.
Wie stark ziehen in den Kundengesprächen Best-Practice-Projekte?
Die werden schon genau angeschaut. Auch die großen Hotelketten hatten anfangs mit uns erst mal ein, zwei Kleinere Projekte gestartet und uns auf den Prüfstand gestellt. Wie funktionieren die existierenden Systeme mit Hotelbird? Wie lassen sich die Prozesse digitalisieren? Und wie kommt das Ganze beim Gast überhaupt an? Nach den ersten Projekten stellen die meisten Kunden fest, dass es funktioniert, und rollen anschließend alle Hotels der jeweiligen Hotelketten mit unserer Technologie aus.
Daten, Daten, Daten: Bleiben da die Emotionen nicht auf der Strecke?
Durch den Einsatz von Technologie schaffen wir mehr Zeit für Gäste und Gastgeber. Mehr Zeit bedeutet auch mehr Emotionen! Denn der enorme Zeitgewinn für die Gäste und die Mitarbeiter vor Ort gibt uns die Chance, die Interaktion mit dem Gast zu fördern. Menschen sind soziale Wesen und werden immer die Nähe zu anderen Menschen suchen – die Technologie gibt hier mehr Freiheiten.
Ihr Unternehmen ist bekannt für den digitalen Checkin-Prozess. Was können Ihre Tools noch?
Richtig, mit dem digitalen Check-in sind wir gestartet. Wir bieten aber heute deutlich mehr Funktionen als damals. Mit unserem Multi-Channel-Plattform-Ansatz ist es uns möglich, zwischen den Systemen wie PMS, Schließsystem und Zahlungssystem zu kommunizieren, das Ganze völlig unabhängig vom Endgerät. So ist die digitale Gastreise über das Web, eine App, das Self-Service-Terminal, über eine offene Schnittstelle oder auch ganz neu via Booking.com möglich. Dieser Ansatz ermöglicht es uns zudem, alle relevanten Prozesse und Informationen digital abzudecken, wie den digitalen Check-in, den digitalen Meldeschein, die digitale Gästemappe, die Türöffnung sowie die digitale Bezahlung mit dem eigenen Smartphone oder am Self-Service-Terminal im Hotel vor Ort.
Alle umständlichen wiederkehrenden Prozesse werden damit in den Hintergrund verlagert, und der Hotelier kann sich voll und ganz seinen Gästen widmen. Langfristig spart er damit zudem Kosten und bleibt digital wettbewerbsfähig. Die Technik entwickelt sich natürlich immer weiter, sodass wir jetzt schon eine Vielzahl von Zusatzfeatures in der Hotelbird-Plattform verbinden können. Wir haben auch für die Zukunft noch einige Überraschungen parat.
Experten für die digitale Kundenreise
Die Nachfrage ist groß: Rund 90 Anfragen erhält das Münchner Unternehmen Hotelbird, Experten für die digitale Kundenreise, derzeit monatlich von Hotels. Denn gerade auch die Individualhotels haben jetzt laut CEO Juan A. Sanmiguel die Zeichen der Zeit erkannt. Ein Umdenken in Sachen Digitalisierung, das Sanmiguel zufolge bei den Hotelketten bereits vor der Pandemie vorhanden war. Diese hätten frühzeitig verstanden, dass sie ihre Prozesse verschlanken und vereinfachen müssen.
Ein Blick in die Kundenkartei: Man arbeite bereits mit den führenden Hotelketten wie
Achat Hotels, Amano Group, Deutsche Hospitality, Flemings Hotels, GSH Hotels, Lindner Hotels oder der Novum Hospitality zusammen, so der Hotelbird-CEO. Als Erfolgsgarant seiner Tech-Company betrachtet Gründer Sanmiguel das Thema Schnittstellen. Seit
dem Start im Jahr 2015 habe man darauf den Fokus gelegt – mittlerweile bieten die Münchner Schnittstellen zu allen führenden PMS-Anbietern, Schließsystem-
Herstellern und Payment-Providern an.
Interview: Patrick Neumann